Gegen jede Regel
müssen.
Und das könnt ihr nur tun, wenn ihr das Spiel versteht.«
Ralf sah immer noch aus, als meinte er das ernst. Nina
nickte.
»In Ordnung«, sagte ich zögernd. »Hören wir denn auch
noch, was Tobias mit den E-Mails gemacht hat?«
»Das hört ihr. Aber lasst euch erst das Spiel erklären,
das ist wirklich hilfreich.«
»Das ist eine Verschwörung«, murmelte ich.
»Wenn, dann ist es keine besonders gute«, sagte Ralf.
Während ich mich noch fragte, was er damit meinte, baute
er das Spiel auf. Wir setzten uns. Auf dem Spielbrett war eine Karte Europas zu
sehen, im Osten bis hinter das Schwarze Meer, im Süden befand sich noch ein
Streifen Afrika. Ich erkannte die Staaten, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg
bestanden hatten. Deutschland, Ãsterreich-Ungarn und das Osmanische Reich
hatten sich seit dieser Zeit relativ deutlich verändert. Die Staaten waren in
einzelne Felder unterteilt, die alle mit Abkürzungen bezeichnet waren.
Ralf stellte einige farbige Spielfiguren auf das Brett,
die die Form von kleinen Soldaten und Schiffen hatten. »Sieben GroÃmächte,
sieben Spieler«, erklärte er, diesmal ganz nüchtern. »Jeder beginnt mit drei
Nachschubbasen, also drei Truppen. Nur Russland besitzt vier. Es gibt
Infanterieeinheiten und Kriegsschiffe.«
»Aber wir wollen jetzt nicht spielen, oder?«, fragte ich.
Ralf ignorierte mich. »Jede Einheit kann in jeder Runde
ein Feld weit ziehen. Das Spiel beginnt im Jahr 1914. Wer mit einem Truppenteil
eine Nachschubbasis besetzt, der beherrscht sie. Nach den Zügen gibt es
entsprechende Auf- und Abbauten.«
»Wie wäre es mit einem Beispiel?«, fragte Nina. »Ich meine,
bevor du die noch komplizierteren Regeln erklärst?«
Ralf sagte: »Das waren schon die Grundzüge. Das Schwierige
bei Dominanz sind nicht die Züge,
sondern die Verhandlungen.«
Ich entschied mich, mitzuspielen. Vielleicht war es wirklich
ganz hilfreich, um eventuelle Motive aufzudecken. »Nehmen wir an, ich bin
Tobias«, sagte ich. »Wer war er doch gleich?«
»Russland«, sagte Simon.
»O ja, ich bin Russland. Das gefällt mir, ich bin stärker
als alle anderen.«
»Ja, das bist du«, sagte Ralf mit einem Lächeln.
Das Lächeln irritierte mich. Ich fragte: »Und was tue ich
jetzt?«
»Du verhandelst. Nehmen wir dieses Beispiel. Am wichtigsten
sind für dich deine direkten Nachbarn.«
Ich schaute auf die Karte. Das war einfach. »Deutschland,
Ãsterreich und die Türkei.«
»Und England nicht zu vergessen.«
»England?« Das war nach meiner Einschätzung doch eine
ganze Ecke weit weg.
»Schau mal auf die Karte«, sagte Ralf. »Es gibt einige
neutrale Nachschubbasen. England wird sich im ersten Jahr Lappland sichern,
weil ihm das niemand streitig machen kann. Lappland grenzt direkt an
Nordrussland und dort liegt St. Petersburg, deine Hauptstadt.«
Ich folgte seinem Finger. Er hatte recht. »Oh. In Ordnung.
Mit England werde ich auch verhandeln.«
»Du bist ein kluger Herrscher«, meinte Ralf, aber ich hatte
das Gefühl, dass er sich über mich lustig machte.
»Wie verhandle ich?«
»Bei einem normalen Spiel würden wir jetzt zu zweit in
einen anderen Raum gehen und uns ungestört unterhalten. Das könntest du mit
jedem machen. Du bietest Freundschaft und Bündnisse an, versuchst die Pläne der
anderen zu erfahren und für dich zu nutzen.«
Das klang sehr plausibel. Und perfide. Wie auf einem Parteitag
der hessischen SPD vielleicht. »Das ist mir zu abstrakt. Wie genau sieht das
aus?«
»Per E-Mail geht das etwas anders als im direkten Kontakt,
deshalb gehen wir gleich auf die E-Mails ein, oder?« Ralf nickte Simon zu, der
Nina und mir ein Blatt Papier in die Hand drückte. Es war der Ausdruck einer
E-Mail.
»Diese E-Mail hat Tobias an Elias Grams geschickt. Türkei.
Es ist die erste E-Mail zur Kontaktaufnahme.«
Ich las:
Â
Geschätzter Elias, hochverehrter Sultan des Osmanischen
Reiches,
ich übersende Euch freundschaftliche GrüÃe aus St. Petersburg.
Wir empfinden in Russland eine besondere Verbundenheit mit dem osmanischen Volk
und seinem Sultan, deshalb biete ich Euch die Freundschaft an. Es wäre mir eine
Ehre, wenn wir gemeinsam Seite an Seite unseren Feinden entgegentreten und über
sie triumphieren könnten.
Ich rege
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