Gegen jede Regel
ich, aber im Grunde
hatte er genauso ratlos gewirkt. Die Befragung hatte uns deshalb bis jetzt
wenig weitergebracht. Vielleicht war ich aber auch nur verwöhnt von den ersten
vierundzwanzig Stunden der Ermittlungen.
Ich sagte: »Herr Stallmann hat uns erzählt, dass Sie
LAN-Partys in der Schule veranstalten.«
»Hat er das? Sagen wir mal so: Es hat ein halbes Jahr gedauert,
bis er dem zugestimmt hat. Oder besser, bis er dem nicht mehr widersprochen
hat.«
»War das Kollegium auch so kritisch?«
»Die Schulleitung, das Kollegium und die Eltern. Eine
Generationensache.«
»Wieso?«
»Die Erwachsenen verstehen nicht, worum es bei solchen
Spielen und Partys geht. Sie sehen nur einen Ausschnitt der Spiele und bekommen
Angst. Sie kennen die öffentliche Diskussion zum Verbot von einigen
Videospielen.«
Die kannte ich ebenfalls und hielt sie auch nicht für abwegig.
»Und warum machen Sie das dann trotzdem?«
»Wir dürfen vor der Welt der Jugendlichen nicht die Augen
verschlieÃen. Wenn diese Spiele populär sind, dann hat das gute Gründe. Sie
sind faszinierend. Ich halte nichts davon, den Schülern zu vermitteln, dass mit
ihnen irgendetwas nicht stimmt, nur weil sie gerne am Computer sitzen. Auf
diese Weise können wir nicht pädagogisch arbeiten.«
»Aha«, sagte ich. Er hatte mich noch nicht überzeugt. Allerdings
war ich auch kein Pädagoge.
»Ich versuche stattdessen, die positiven Seiten hervorzuheben
und dort anzusetzen.«
»Was sind denn diese positiven Seiten?«, fragte ich mit offener
Skepsis.
»Solche Partys sind ein Gemeinschaftserlebnis. Man trägt
ein Turnier aus, schult die Kooperation untereinander und kann seine Kräfte
messen, ohne dass es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt. LAN-Partys
sind ein friedlicher Wettstreit. AuÃerdem gibt es dort keinen Alkohol, keine
Drogen. Denn wer etwas anderes auÃer Cola trinkt, kann nicht mehr spielen. Er
wird zu langsam.«
Ich sagte: »Das mag sein, aber das Töten von Menschen am
Computer senkt doch die Hemmschwelle für die Gewaltanwendung im echten Leben,
oder?« Das zumindest hatte ich im Seminar der Kollegen gelernt.
»Vor allem die detaillierte Darstellung der Tötung ist
problematisch. Wenn genau gezeigt wird, was mit dem Opfer passiert. Aber das
haben wir umgangen. Wir verfolgen ja pädagogische Ziele mit so einer LAN-Party.«
Meine Augenbrauen hoben sich, wie Ninas es taten, wenn
sie erstaunt war.
»Es gibt zwei Lernziele, was den Informatiklehrplan betrifft.
Erstens die Einrichtung eines lokalen Kabelnetzwerks, damit man überhaupt
spielen kann. Das ist sehr anspruchsvoll, weil wir ohne die automatischen
Funktionen des Betriebssystems arbeiten. Zweitens die Programmierung von
dreidimensionalen Computerspielen. Mit unseren Programmierkenntnissen haben wir
die Szenarien von unnötiger Gewalt befreit. Wir haben die Darstellung der Tötungen
verändert. Ich glaube, wir könnten ohne Schwierigkeiten eine Altersfreigabe ab
zwölf erreichen. Dadurch sehen die Schüler, dass die extreme Darstellung von
Gewalt nicht nötig ist und dass der Spielspaà aus einer anderen Quelle kommt.«
Die Worte des Informatiklehrers machten mich nachdenklich.
Ihm fehlte der Missionierungseifer, den die Verfechter von Ego-Shootern und
auch deren Gegner häufig an den Tag legten. Seine Schilderung war sachlich und
unaufgeregt. Eine Eigenschaft, die ihm in der Auseinandersetzung mit
Schulleitung, Kollegium und Eltern sicher geholfen hatte. Ich hing nicht an meinen
Klischees und es wäre nicht das erste, das ich seit Beginn des Falls hätte
aufgeben müssen.
»Sie haben eine abstrakte Version des Spiels programmiert«,
fasste Nina zusammen.
»Realistisch genug, um spannend zu sein, und abstrakt
genug, um nicht gewaltverherrlichend zu sein«, bestätigte Hirschmann. »Das ist
zumindest die Idee.«
»Und das macht dann noch Spa�«
»Ja. Aber fragen Sie doch am besten die Schüler.«
»Das werden wir. War denn der Verlauf dieser Partys immer
friedlich? Ich meine, das ist ja ein Wettbewerb. Da können doch leicht einmal
Konflikte entstehen. Oder bestehende Streitigkeiten werden in den Wettbewerb
hineingetragen.«
»Natürlich. Aber eine LAN-Party ist auch eine MaÃnahme
zum sozialen Lernen. Es ist ärgerlich, wenn ein anderer Spieler oder ein
anderes Team besser ist als
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