Gegen jede Regel
»Es ist das
Beste für Ãsterreich, wenn es meinem Vorschlag folgt. Martin wird das erkennen.«
Das war eine Feststellung, die keine abweichende Meinung
zulieÃ. Ich dachte an die Worte, mit denen Michael Brodbeck uns Grams
geschildert hatte. Nun vermisste auch ich bei ihm die Flexibilität eines
Diplomaten.
Ich reichte ihm Ninas USB-Stick. »Können Sie uns Ihre
E-Mails aus dieser Partie kopieren?«, bat ich.
»Natürlich. Vom Beginn der Partie an?«
»Bitte.«
»In Ordnung.«
Ich sah, dass alle E-Mails eine Kennzeichnung im Betreff
hatten, das machte Grams die Auswahl einfach. Er gab mir den Stick zurück.
Somit war meine Lektüre für einen weiteren Abend gesichert.
»Danke. Trinken wir noch einen Kaffee?«
Wir setzten uns wieder an den Esstisch. Ich fragte: »Wie
schätzen Sie Ihre Chancen ein, die nächsten Runden in der Partie zu überleben?«
Grams überlegte einen Moment. »Hmm. Vielleicht sechzig zu
vierzig. Ãsterreich wird vernünftig sein.«
»Jetzt nehmen wir mal an, Ãsterreich folgt Ihrem Angebot.
Es findet ein Angriff von Deutschland, Ãsterreich und Ihnen auf Russland statt.
Und der Angriff hat Erfolg. Was kommt danach?«
»Danach folgt logisch ein deutsch-türkischer Angriff gegen
Ãsterreich.«
»Sie meinen das Ãsterreich, das Sie jetzt als Verbündeten
umwerben?«
»Ganz genau.«
»Sie versprechen dem Ãsterreicher ein Bündnis und planen
gleichzeitig schon, ihn zu hintergehen?«
»Darum geht es doch. Die Frage ist nur, wer schneller
ist.«
Das war uns ja nicht mehr neu, aber es war immer wieder
faszinierend, Leute solche Absichten tatsächlich aussprechen zu hören. Ich fand
an diesem Punkt, dass der Bogen, den ich für dieses Gespräch eingeschlagen
hatte, nun weit genug geschlagen war und die Zeit gekommen, um zum Kern unseres
Anliegens vorzudringen.
»Wie lange kannten Sie Tobias Maier schon?«
Grams wurde mit einem Schlag ernst. Mit der Frage nach
Tobias verflüchtigte sich die Leichtigkeit, die kurz von ihm Besitz ergriffen
hatte, als er uns seine Taktiken und Hoffnungen erläuterte, und seine Schultern
sanken tiefer als zuvor. »Das ist schwer zu sagen. Vielleicht zwei Jahre. Seit
Tobias angefangen hat. Wir kennen uns seit seiner ersten Partie.«
»Wie denn das? Ich dachte, die Anfänger und die Experten
spielen getrennt?«
»Natürlich. Aber wenn einer aus der Partie aussteigt,
dann wird ein Ersatzspieler gesucht. Und das war ich in diesem Fall. Es gibt
Anfängerpartien, in denen es zum Ende fünf A-Spieler als Ersatz gibt, weil alle
Anfänger unterwegs aufgegeben haben.«
»Wie war es, gegen ihn zu spielen?«, fragte ich.
»Schwierig. Problematisch. Er spielte ganz irrational.
Machte unvorhersehbare und sinnlose Züge. Er war Argumenten nicht zugänglich.
Sehr schwierig.«
»Ist es nicht sehr ärgerlich, mit solchen Leuten zu spielen?«
»O ja. Unglaublich ärgerlich. Aber der Erfolg hat mir recht
gegeben. Ich habe ihn immer besiegt. Ohne vernünftiges Konzept und ohne
Strategie kann man eben nicht gewinnen.«
»Gehört denn nicht auch ein wenig Glück zum Spiel dazu?«
Er schaute mich an, als hätte ich postuliert, die Erde
sei eine Scheibe. » Dominanz hat mit
Glück nichts zu tun«, sagte er gepresst. »Ein guter Spieler braucht kein Glück,
um zu gewinnen. Ein guter Spieler hat zu jeder Zeit die Fäden in der Hand und
kann Unterstützung mobilisieren, wenn er in Schwierigkeiten gerät. Er bestimmt,
wer angegriffen wird, und weià jederzeit, was vorgeht.«
Ich fragte mich, wie verbreitet diese Sicht des Spiels
war. Und ob das Spiel bei solchen Ansprüchen überhaupt Spaà machen konnte.
»Wie war das in der aktuellen Partie?«
»Da habe ich gepennt«, sagte der Malermeister zerknirscht.
»Ich bin so ziemlich auf den ältesten Trick reingefallen, den man sich nur
denken kann.«
»Sie hatten mit Tobias eigentlich etwas ganz anderes vereinbart.«
»Ja, ich hatte ihm ein türkisch-russisches Bündnis vorgeschlagen.
Das ist eines der Bündnisse, die ohne Probleme bis zum Ende des Spiels bestehen
können. Man teilt einfach den Kontinent in zwei Dreiecke auf, Russland erhält
den Nordosten und die Türkei den Südwesten. Das kann so wunderbar funktionieren.«
»Tobias hatte andere
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