Gegenwinde
plauderten beim Klettern, wir gingen rasch den Tag durch, und hauptsächlich kam dabei heraus, dass ihre Lehrerin ihr Angst machte und für ihren Geschmack zu viel schrie, aber sie hatte Bilder gemalt, eine Papierkrone gebastelt und ein bisschen geturnt. Von dort oben, mit der Nase im Wind, verfolgten wir die hellen Kurven, die der Drachen in den rosa Himmel zeichnete: perfekte Bahnen, große, tadellose Achter. Clément lenkte das Ding, als hätte er es schon sein ganzes Leben lang getan, die Kraft des Windes zog ihn Richtung Meer, ab und zu lösten seine Füße sich leicht vom Boden, man hätte meinen können, er fliegt davon. Manon leerte ihr Päckchen Honey Pops, ohne ihren Bruder aus den Augen zu lassen. Ich glaube, sogar ich hatte sein Gesicht und seine Laune vergessen, als er es schaffte, das Dreieck nur ein paar Zentimeter über den Wellen in der Schwebe zu halten.
Die Kälte brach herein wie die Nacht, mächtig und unausweichlich. Entlang der Promenade gingen nacheinander die Laternen an, wenn man die Augen zusammenkniff, bewegte sich das Licht auf den Festungswall zu wie ein Lauffeuer. Manon hörte den ganzen Abend nicht mehr auf, im Auto, im Haus, überall suchte sie verschwommene Lichtflecken. In den erleuchteten Fenstern an den Stirnseiten der Villen konnte man Schatten erkennen. In den Salons mit den polierten Möbeln und den Fernrohren auf vergoldeten Holzstativen, großen Stelzvögeln gleich, mit den Aquarellen an den Wänden, den Clubsesseln und niedrigen Tischen aus exotischem Holz schickte man sich an, den Chivas aufzumachen.
Ich holte den Pack Bier aus dem Kühlschrank, stellte ihn mitten auf den Tisch und nahm die erste Flasche heraus. Der Fernseher mir gegenüber war nur ein nutzloses graubraunes Rechteck, aus der Anlage kreischte Otis Redding. Die Kinder waren gegen neun Uhr eingeschlafen. Sie waren fix und fertig, die jodgesättigte Luft und der peitschende Wind hatten sie im Sommer immer umgehauen. Sarah und ich betrauten Nadine damit, ihren Engelsschlaf zu bewachen, und gingen zum Strand hinunter, es war mild, und bei der Pointe du Décollé sank die Sonne in die Felsen. Ich küsste sie bei jedem oder fast jedem Schritt, ich konnte es nicht lassen, so wenig wie ich es lassen konnte, unter dem leichten Stoff ihres Kleides ihren Hintern zu berühren, ihre Brüste zu streicheln, wenn sie sich an mich lehnte und wir das Meer anschauten und mein Schwanz zwischen ihren Pobacken hart wurde wie ein Stück Holz. Hinter den Kabinen zog sie auf allerliebste Art ihren Slip aus, und ihr Mund schmeckte frisch. Wir blieben noch lang mit den Schuhen in der Hand, Hose und Kleid über den Knien, unter dem sternenübersäten Himmel und warteten, dass die Wellen aufhörten sich zu brechen und ölig und schäumend auf dem Sand auszulaufen, wo sie leise knisterten.
Ich trank mein Bier in einem Zug aus, die Musik zerriss mein Gedärm, ich ging hinaus in die kältestarre Nacht. Am Ende der Straße toste das Meer, erfüllte alles, schlug an meinen Schädel, bis es ihn geöffnet hatte und sich in ihn ergoss. In der lockeren Erde stehend, rauchte ich eine Zigarre. Der Rasen war in einem schlimmen Zustand, mottenzerfressen wie ein alter Stoff, von wilden Gräsern und allem möglichen Dreckzeug durchsetzt, das sich in den ersten schönen Tagen unweigerlich ausbreiten würde. Die Mauer aus Leichtbausteinen um das Grundstück zerfiel, der Vormieter hatte sich damit begnügt, die Löcher notdürftig mit grauem Zement zu stopfen. Wein wuchs in einem komplizierten Muster an ihr entlang, dicke Nägel versuchten ihm den Weg zu weisen, doch vergeblich. Das Fenster des gegenüberliegenden Hauses ragte kaum über die Mauer hinaus, in einem Rechteck gelben Lichts war die Küchendecke zu erkennen, an der eine Kugel aus zerknittertem Papier hing. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, und die Nachbarin zuckte zusammen, als sie mich auftauchen sah. Sie zog an ihrer Zigarette und lächelte mir einen Augenblick zu, während meine Lippen ein stummes Guten Abend formten. Sie war sehr blass und ihr Haar so hell, dass es fast weiß aussah, unter ihren tiefliegenden Augen hatte sie dunkle Ränder, von denen man ahnte, dass sie nie ganz verschwanden. Sie öffnete das Fenster einen Spalt, ich kletterte auf den dicken abgesägten Baumstamm und stützte die Ellbogen auf die Mauer. So unterhielten wir uns eine Weile, über alles und nichts, über die Gegend, Spaziergänge, die man machen konnte, Ecken, die es zu erkunden gab. Ich kannte das
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