Geh auf Magenta - Roman
vergleichbarer Schmerz wie bei Bastien entwickeln konnte. Da sie ihre Entscheidung als eine zwangsläufige Reaktion auf sein Verhalten begriff, hielt sie sich nun für die Betrogene, an diesem Punkt spielte auch Thomas nur eine zweitrangige Rolle. Wäre Bastien besser mit ihr umgegangen, befände sie sich jetzt nicht in dieser zerrissenen Situation, und alles wäre gut, dachte sie; auch wenn sie zugeben musste, dass das paradox war. In ihrem Empfinden agierte sie nun gegen den Rest der Welt, die ihr gehässig vorwarf, dass sie einfach nur etwas Glück wollte, das tat weh. Es waren nicht nur die täglichen Entscheidungen, die sie mit Bastien gemeinsam traf, sie hatten sich ebenso gegenseitig geformt, als Menschen und als Künstler. Als sie ihn kennenlernte, hatte sie noch gemalt, zumeist Stillleben oder Akte, auf die sie auch recht stolz war. Erst in den abendlichen Diskussionen mit Bastien hatte sich langsam so etwas wie ein Konzept ihres Tuns herauskristallisiert; er legte immer wieder den Finger in ihre künstlerischen Wunden und riet ihr, das Medium zu wechseln, um ihrer eigentlichen Leidenschaft, der Spurensuche in der Masse, näher zu kommen. Also wurde sie Fotografin, inzwischen mit einigem Erfolg. Im Grunde basierte ihre künstlerische Entwicklung auch weiterhin auf den Auseinandersetzungen mit ihm – sie gab einen ersten Gedanken vor, der seinen konzeptionellen Schliff im anschließenden Gespräch erhielt. In gewisser Weise handelte sie jetzt genau so, sie gab etwas vor, und nun war Bastien dran; seine Reaktion war ihr wichtiger, als sie zugeben mochte, und nicht zuletzt auch seine Nähe.
Etwas später an diesem Tag würde sie die gebügelten Sachen sauber zusammenlegen, Zoes Zettel wieder am Kühlschrank befestigen, die Spül- und die Waschmaschine anstellen, um dann wieder aus dem Fenster zu schauen und auf Thomas zu warten. So wie geplant.
4
Erik war wie immer pünktlich, er umarmte Bastien mit einem kräftigen Druck.
»Junge, grüß dich.«
Er nannte all seine Freunde Junge , das mochte ein Rudiment aus seiner Kindheit sein oder auch eine Verniedlichung seines Erwachsenenlebens, beides lief auf das Gleiche hinaus. Als Jungs hatten sie zusammenzustehen, im Wir seien sie stark, da könne die Welt machen, was sie wolle. Erik kleidete sich gerne etwas martialisch – ein breiter Gürtel war mit metallenen Grimassen-Köpfen bestückt, die Lederhose saß eng auf den Schenkeln, darüber trug er einen schwarzen, ebenso ledernen Mantel, der deutlich an den Matrix-Style erinnerte, und seine lange Mähne hatte er zu einem Zopf nach hinten gebunden. In diesem Look wirkte er durchaus bedrohlich.
Erik war Single. Und ein unglücklicher dazu, deshalb hatte er immer Zeit für andere und konnte stets pünktlich sein. Vor acht Jahren hatte er ein schmales Kuvert (mit einem dreizeiligen Abschiedsbrief darin) neben seinem leeren Bett gefunden, das den Beginn seines anhaltenden Unglücks markieren sollte. Wer behaupten mochte, dass Zeit alle Wunden heilt, der wurde in Eriks Person eines Besseren belehrt; die Zeit heilte hier gar nichts, der Liebeskummer blieb sein ständiger Begleiter, jahrein, jahraus, was dafür sorgte, dass keine neue Frau sich in die Stapfen dieser unerreichbaren Vorgängerin traute. So glaubte Erik, er sei einfach vollkommen unfähig, wenn nicht sogar unwürdig, eine Beziehung zu führen, im Grunde habe er alles an Liebe gehabt, zumindest einmal in seinem Leben, dafür könne er sogar dankbar sein. Da half auch kein Zureden mehr.
Er trat ins Atelier ein und schaute Bastien grimmig an, spätestens jetzt sah der Ledermantel nach einem echten Van Helsing aus: »So eine Ratte.«
Bevor Bastien antworten konnte, öffnete sich die Tür, und Rob und Kevin kamen herein, was Bastien mit großer Erleichterung wahrnahm, mit diesem Kerl an ihrer Seite würde die Sache schon geradeaus laufen. Er klopfte Kevin begeistert auf die breite Schulter, einfach super, dass er dabei sei, dieser grinste, er solle doch erst einmal erzählen, was los sei.
Ein allgemeines Umarmen, ein Verteilen der Weingläser, und Bastien erzählte in knappen Sätzen, was seit seiner Rückkehr alles passiert war. Er ließ nicht aus, dass er so etwas bereits in Thailand geahnt hatte und allein schon deshalb Sonia in keiner Weise angerührt habe, ganz abgesehen von diesem dämlichen Durchfall, der ihn in den zwei Wochen außer Gefecht gesetzt hatte.
»Erst die Scheiße und dann die nächste«, sagte Rob und sorgte für allgemeines
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