Geh auf Magenta - Roman
zu ihrer Glasfront hoch. Wahrscheinlich bedeutete das Arbeit, einer aus der Realisation bedeutete immer Arbeit.
*
Mel stand am Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Unverhofft hatte sie Zeit, Thomas war spontan zu einem neuen IT-Kunden gefahren, außerhalb von Berlin, am Abend wäre er aber wieder da, ein wirklich fetter Brocken sei das.
Auf dem Bügelbrett vor ihr lagen einige seiner Sachen, eine Hose, ein paar Hemden. Natürlich müsse sie so etwas nicht für ihn machen, bügeln, das sei ja unterirdisch und ganz sicher nicht ihr Niveau, hatte er gesagt, ihr wiederholtes Angebot dann aber doch bereitwillig angenommen. Sie fuhr mit der Hand leicht über den Stoff, eine gute Qualität, ganz sicher würde er Wert auf so etwas wie eine Bügelfalte und gerade Kragenränder legen. Akkurat eben. Wie auch der Wochenplan, den er ihr jüngst vorgelegt hatte – das mache schon Sinn, dann könne man sich besser abstimmen und hätte so auch mehr Zeit füreinander, das sei eben effektiv. Sie hatte darauf genickt, natürlich, das war überzeugend, was auch sonst? Wie immer hatte er die Logik auf seiner Seite, und einem Widerspruch hätte die Begründung gefehlt. Also wusste sie bereits jetzt, was und für welchen Zweck es einzukaufen galt und zu welcher Uhrzeit sich sein neuer Schlüssel im Schloss herumdrehen würde. Der Wochenplan berücksichtigte auch ein Haushaltsgeld, er wolle mit seiner Anwesenheit ja nicht für Kosten sorgen. Sie müsse einfach einmal durchrechnen, was sie für all dieses Zeugs wie Waschpulver, Spülmittel und so benötige, das gebe er ihr dann. Sie hatte sich gerade noch die Frage verkneifen können, ob er eine Quittung dafür haben wolle.
Trotzdem. Danach hatte sie sich gesehnt, nach einem kompakten Leben mit Hand und Fuß und klaren Ansagen, schließlich sorgte diese Planung jetzt auch dafür, dass sie die Zeit für ihre Kunst kalkulieren konnte, auch in dieser Hinsicht war alles – effektiv. Ein Leben ohne Fehler, geschmiert, ohne Ecken und Kanten; auch das morgendliche Aufstehen fiel ihr jetzt leichter, da die nächtlichen Diskussionen mit Bastien ausblieben.
Sie schaltete das Bügeleisen an und fuhr damit über ein Hosenbein. Bastien. Sie fragte sich mit einiger Sorge, wie es ihm ging. In diesem lausig kalten Atelier konnte man sich eigentlich nur erkälten, er war anfällig dafür. Im Schrank des Schlafzimmers lagen noch seine Pullover, es wäre sicher richtig, ihm die zu schicken. Oder sie ihm zu bringen? Und ihn dabei zu umarmen, seine Nähe zu spüren, all das Vertraute wiederzuhaben. Warum dachte sie das? Es war vorbei, aus, endgültig, sie lebte jetzt das Leben, das sie gewollt hatte.
Sie rieb sich durch das Gesicht und spürte die Nässe auf der Haut, richtig, das Leben, das ich gewollt habe.
Gedankenverloren blickte sie wieder aus dem Fenster. Etwas überrascht sah sie Rob unten auf der Straße. Neben ihm stand jemand, den sie nicht kannte; die beiden redeten offenbar über etwas, das mit dem Haus zu tun haben musste. Das erstaunte sie, Rob war zigmal hier in ihrer Wohnung gewesen, er kannte sich eigentlich aus. Warum kam er nicht hoch und sprach mit ihr? Besonders Rob. Sie dachte daran, wie nah sie sich über all die Jahre gewesen waren, sie hätte jetzt gern mit ihm gesprochen, ihn einfach nur – berührt. Sie fühlte sich bereits wie eine Ausgestoßene, allein mit Thomas, alle anderen würden ganz sicher zu Bastien halten. Aus diesem Grund war sie letztens ins Dry gegangen, um zumindest einigen dort zu zeigen, dass sie kein Monster war, dass sie immer noch dabei war, zu der Runde zählte. Nur eben nicht mehr mit Bastien. Hätte Thomas sie an diesem Abend nicht dauerhaft küssen wollen, wäre das wohl auch gelungen, aber die meisten hatten sie dann ganz einfach geschnitten.
Wieder übermannte sie der Schmerz, und sie stellte das Bügeleisen ab. Dieses Hosenbein konnte sie jetzt mal, dachte sie und ging hinüber in die Küche. Einer der Magnete am Kühlschrank war abgefallen, und Zoes Zettel lag auf dem Boden, Mami, ich hab dich lieb ; zitternd setzte sie sich auf einen Stuhl, der Schrei wollte nicht wirklich gelingen. Was war das eigentlich? Im Kern bestand Mels Schmerz darin, dass sie diesen mit sich selbst ausmachen musste. Es gab nicht das gewohnte Reflektieren mit Bastien am Küchentisch, was jetzt am besten zu tun sei, diese Entscheidung hatte sie allein treffen müssen. Die damit einhergehende Unsicherheit kam dem Gefühl des Verlassenseins gleich, so dass sich ein
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