Geh auf Magenta - Roman
Palmen und Unterholz zu skizzieren, es stellte sich als sehr aufwendig heraus, und einige Stunden vergingen. Schließlich breitete sich vor seinen Augen eine subtropische Landschaft aus, ein Wasserfall war zu erahnen, ebenso einige Affen in den Bäumen. Mit einigen weiteren Strichen skizzierte er eine Gruppe Menschen, die sich ihren Weg durch den Wald bahnten, ein Mann und eine Frau führten sie an.
Nun bekam er eine richtige Arbeitswut, es folgten Bilder von altertümlichen Tempeln mit pagodenförmigen Dächern, Tropfsteinhöhlen mit goldenen Seen, Wegen durch prähistorische Urwälder und mehrere Ansichten von einem Krater, auf dessen Boden etwas schimmerte. In der Form eines Storyboards fertigte er zudem einige Zeichnungen an, die zeigten, wie sich ein organisches Wesen seinen Weg aus dem Krater bahnte, um dann steil nach oben in den Weltraum zu fliegen. Nach einigen weiteren Stunden der intensiven Arbeit saß er erschöpft vor einigen Leinwänden und einem Berg an Skizzenpapier und war glücklich. Das eigentliche Vorhaben, eine Serie an Akten, war es zwar nicht geworden, aber die Bilder gingen immer noch als mehr oder weniger reale Landschaften durch und waren somit verkäuflich. Bei den Zeichnungen war er sich nicht so sicher, die muteten eher wie die Vorlage eines Animationsfilmes an; welcher Galerist würde schon ein fliegendes UFO ausstellen wollen?
Er legte alle Blätter nebeneinander und korrigierte hier und da einige Stellen. Die Szene mit den Kormoranen auf der Steilklippe mochte er besonders, dahinter war der Krater angedeutet. Das Blatt daneben zeigte den Krater in der Totalen, ein Mann kletterte an den Wänden hinab in den Schlund. In der nächsten Szene war er im Innern des Wesens zu sehen und ging durch einen spiralförmigen Gang. Mit einigen Strichen zeichnete er einen Thron im Hintergrund und verwischte die Kohle auf dem Papier, der Thron geriet jetzt zu einem schemenhaften Gebilde, von dem man nicht genau wusste, um was es sich handelte. Aber genau das gefiel ihm, im Grunde wusste er ja auch nicht, was es war, diese Dinge standen vor seinem Auge, ungerufen, ungewollt, sie waren einfach immer da. Ungerufen wie das Leben selbst, dachte er, legte die Kreide zur Seite und wusch sich die Hände. Währenddessen konnte er den Blick nicht von den Bildern lassen, sein Schaffensglück relativierte sich nun aber in doch aufkeimenden Zweifeln. Wer in aller Welt würde so etwas kaufen wollen?
Er drehte den Wasserhahn zu und trocknete sich die Hände ab. Einen Moment lang glaubte er, eine lachende Frauenstimme zu hören. Er hörte noch einmal hin, das Lachen schien vom Gang her zu kommen, aus Robs Atelier. Er grinste, das war Rob zu gönnen, seine letzten Beziehungen waren alles andere als glücklich verlaufen.
19 Uhr. In den meisten Wohnzimmern saß man nun zusammen und feierte Heiligabend, bei einem Truthahn, einem Karpfen oder sonst was, dachte er; seine Familie bestand jetzt aus diesen Blättern, die auf dem Boden lagen. – Seine Kinder. Das klang gut, Merry X-mas, Mr. Artist.
Er zündete zwei Kerzen an und stellte sie vor sich auf den Tisch.
Das Handy gab einen Signalton von sich, sein Bruder wünschte ihm frohe Weihnachten. Sofort danach kam eine weitere SMS, von Mel, auch sie wünschte ihm schöne Weihnachten. Sie ließ wirklich nichts aus, sicher kam gleich noch und Grüße auch von Thomas hinterher; er fragte sich, warum er ihre oberflächliche Art erst jetzt wahrnahm, schließlich hatte er acht Jahre lang dazu die Gelegenheit gehabt. – Eine entblätterte Mel, nackt, ohne den verklärenden Heiligenschein der Beziehung, diese Mel war so. Nur eine nackte Oberfläche.
Er wunderte sich über dieses neuartige Gefühl der Abneigung, es schockierte ihn fast; Weihnachten war ja schließlich das Fest der Liebe. Und nicht der Zeitpunkt, dieselbe zu verlieren.
Das Lachen in Robs Atelier verstummte, kurz darauf hörte er, wie seine Tür sich öffnete und er im Treppenhaus mit jemandem flüsterte. Sie gingen hinunter.
Er legte die Füße hoch und schaute in das Licht der beiden Kerzen. Morgen würde er wieder intensiv arbeiten, es war besser, sich früh schlafen zu legen.
Nach nur drei Stunden wachte er wieder auf, dieser kurze Schlaf musste reichen. Er wusch sich mit etwas Wasser das Gesicht, stand mit einem Satz auf und spreizte seine Beine. Mit den Händen drückte er die Knie durch, um die Verkrampfungen zu lockern; schließlich war er während des ganzen Tages gelaufen und hatte sich erst bei
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