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Geh auf Magenta - Roman

Geh auf Magenta - Roman

Titel: Geh auf Magenta - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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Deckungen ab. Wenn er am Rande des Felssturzes weiterklettern würde, könnte es gehen, dort standen einige Urwaldriesen, an deren Ästen er sich herunterlassen würde, um dann den Überraschungsangriff zu starten.
    Es war riskant, seine Überlebenschancen waren gering.
    Er überlegte weiter. Wenn diese Insel und alles, was jetzt geschah, wirklich nicht real war, warum sollte er das nicht nutzen? Es schien, dass er seit seinem Abstieg in den Krater den Verlauf der Geschehnisse beeinflussen konnte, er war Herr und Meister dieser Insel, also konnte er verfahren, wie er wollte, ganz gefahrlos. Also ein Sprung und ein Kapitel weiter.
    Es funktionierte. Mila saß ihm strahlend gegenüber, das hätte er toll gemacht, wie er ganz allein diese Wilden verjagt und sie dann aus dem Käfig befreit hätte, wie er mit ihr auf den Armen dann durch den Urwald gerannt wäre, bis sie jetzt hier oben, in den Wipfeln eines Baumes, in Sicherheit seien. Er sei einfach ein – Held.
    Bastien sah sie an. Natürlich log sie, ihre nächsten Worte belegten das – was denn mit Tom sei? Sie könnten ihn ja nicht einfach dort zurücklassen, die Leute würden ihn mit Sicherheit opfern. Er müsse gehen, um ihn zu holen.
    Das war es also, sie gehörte zu Tom und wollte ihn nur für ihre Zwecke benutzen, es war einfach zu durchschauen. Wahrscheinlich hatten die beiden ihn schon während der ganzen Zeit betrogen.
    Er blickte sie durchdringend an, und sie senkte den Blick. Sie wusste, dass es nun um sie geschehen war.
    Zuerst veränderte er ihr Haar, der Zopf verschwand. Mit den Gesichtszügen gab er sich besondere Mühe, sie waren nun zierlicher, und sie mochte fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahre alt sein. Er glich ihre überzogenen Proportionen wieder dem menschlichen Maß an und korrigierte hier und da einige Stellen, mit den Fingern wischte er die Linien glatt und versah sie mit einigen Akzenten. Er trat einige Meter zurück und sah sie zufrieden an. Vor ihm saß eine wunderschöne Frau.
    »Mila«, sagte er.
    In den nächsten drei Tagen arbeitete Bastien wie ein Besessener. Die Skizzen häuften sich nun auf dem Tisch, viele der Motive übernahm er für großformatige Bilder, besonders das Innere des UFOs hatte es ihm angetan. Die Perspektiven der Räume und Gänge wurden immer ausgefeilter, auch kamen Details, wie ein formbarer Sessel, hinzu. Ein zweiter Schwerpunkt bestand in der Darstellung von Felsspalten, die mit glühender Lava gefüllt waren, ab und zu schwammen vergnügte Menschen darin.
    Im Atelier wurde es langsam eng. Nachdem die Bilder halbwegs getrocknet waren, stellte er sie aneinander, so dass noch einige Korridore zum Rechner, zur Küche und zum Sessel frei blieben. In diesem saß er nun und schaute glücklich auf die Ergebnisse seiner Arbeitswut. An dem Akt hatte er immer wieder gemalt, selten hatte er sich jemals so viel Mühe mit einem Bild gemacht. So stand es auch ganz vorne, und er nahm zufrieden wahr, dass das Bild ein Meisterwerk war. Die Frau hatte inzwischen ihre Pose verändert, sie umschlang mit den Beinen etwas Rundes, womöglich einen Ast, ihre Arme lagen jetzt angewinkelt in den Hüften, und sie blickte den Betrachter tiefgründig an. Der pastose Farbauftrag verlieh der Figur fast etwas Dreidimensionales, sie schien sich aus dem Bild herauslösen zu wollen, um auf den Betrachter zuzugehen. Während er aufstand, verfolgten ihn die Augen der Frau, er drehte sich immer wieder zu ihr um.
    Bastien suchte nach einem passenden Titel, er dachte anfangs an »Weiblicher Akt«, dann »Akt im Rund«, dann an »Figur vor moderner Welt«, schließlich entschied er sich für den letzteren, die zweite unsichtbare Person sollte rein in der Vorstellungskraft des Betrachters existieren, auch damit war er zufrieden. Das Handy klingelte, auf dem Display war eine ihm unbekannte Nummer zu sehen.
    »Ja?«
    »Ich bin’s«, sagte Mel. »Kannst du mich hören?«
    In der Tat klang ihre Stimme etwas brüchig, zudem lag ein leises Rauschen in der Leitung.
    »Es geht«, sagte er. »Wo bist du?«
    »In Sanaa, im Hotel. Ich wollte mich nur mal melden. Geht’s dir gut?«
    »Klar. Ich arbeite viel. Und bei dir?«
    Sie erzählte von ihrem anstrengenden Flug und der langen Wartezeit in Riad, dann von dem Hotel, das wirklich eine märchenhafte Atmosphäre hätte, auch wenn es mit den Details hapern würde.
    »Was für Details?«
    »Na ja, Dreck und so. Ich meine, hier liegen überall Zehntausend-Dollar-Perser-Teppiche, und darunter kriechen die

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