Geh Ich Auf Meine Hochzeit
vorbeischaute, duftete es in Olivias Küche so verführerisch, dass es auch einen noch so standhaften Menschen während einer Diät verführt hätte. Sie gehörte nicht zu jenen Frauen, die ein paar Würstchen zusammen mit diversen Resten auftischte. Sie gab sich viel Mühe, und ihre aufwendigen und großartigen Kochkünste ließen einem stets das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Evie wusste, dass in ein von zwei Fällen die Gerichte in der Gefriertruhe landeten, weil Stephen Überstunden machte und nicht rechtzeitig heimkam. Wenn er mit Evie verheiratet gewesen wäre, hätte sie sie in den Mülleimer geworfen oder aber ihm ins Gesicht, wenn er zum zehnten Mal hintereinander quasi erst um Mitternacht auftauchte.
Wieder hörte sie seine Stimme auf dem Anrufbeantworter und verzog das Gesicht. »Tut mir Leid, dass ich dich vorhin nicht angetroffen habe, Olivia«, sagte sie. »Heute Abend bin ich bei Simon und werde nicht zu Hause sein. Bitte ruf mich doch morgen an, damit wir etwas plaudern können. Tschüs. Und: Kopf hoch!«
Ohne zu wissen warum, hatte sie diese letzten Worte hinzugefügt. »Kopf hoch!« Olivia hatte zwar nicht erwähnt, dass etwas im Argen lag, doch war sich Evie im Nachhinein dessen sicher.
Olivia stand vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer und ließ das Telefon klingeln. Sie hörte Evies Stimme aus dem Flur, doch sie machte keine Anstalten, abzuheben. Stattdessen nahm sie ihr Spiegelbild genau unter die Lupe. Ihre Mutter hatte Recht, sie war wirklich sehr blass. Sie brauchte etwas, das ihr wieder Farbe verlieh. Eine Schönheitsoperation zum Beispiel oder aber eine Spritze Persönlichkeit.
Oftmals ließen Leute Bemerkungen über ihre Schönheit fallen. Fast alle taten das. Doch Schönheit bedeutete nichts. Olivia bildete sich nichts ein auf die Schönheit, die sie angeblich besaß. Sie hatte sie sich weder verdient, noch dafür gearbeitet. Lebhaft zu sein oder schlagfertig wie Rosie oder aber klug und gutmütig wie Evie, damit ließe sich etwas anfangen.
Es war alles da: die hohen Wangenknochen und die perfekten Lippen. Doch mehr nicht, nichts, was tiefer ging. Nur Oberfläche, reine Architektur. Ein schönes Äußeres, wo sie eigentlich eine innere Lebendigkeit benötigt hätte und etwas, was die Leute interessierte. Evie war schön, weiblich und niedlich mit ihrer kleinen Nase und dem wiegenden Gang.
Aber nicht deshalb liebte Simon sie, sondern deswegen, was sie innerlich bot: eine Persönlichkeit und Energie! Schönheit bedeutete nichts, wenn die wichtigeren Qualitäten fehlten. Und bei Olivia fehlten sie alle. Selbst ihr eigener Mann interessierte sich nicht für sie. Für ihn war sie lediglich eine schöne kalte Puppe, die er sich dann vom Regal holte, wenn er dazu Lust hatte.
»Mama«, piepste ein hohes Stimmchen. Olivia drehte sich um und sah Sasha in der Tür stehen. Ihre Augen waren noch größer als gewöhnlich. »Emilys Filzstift hat einen Fleck auf das Sofa gemacht. Der rosane Filzstift«, fügte sie noch hinzu. »Ich habe ihr gesagt, dass sie ihn nicht aus meinem Zimmer nehmen darf, aber sie hat es trotzdem getan.«
Olivia spürte, dass sie ebenso blass wurde wie die von Stephen so geschätzten hellen Ledersofas. Diese verdammten Filzstifte waren nicht mehr wegzukriegen, wenn sie sich erst einmal irgendwo festgesetzt hatten. Er würde einen Wutanfall bekommen, es sei denn, es gelänge ihr, das Missgeschick vor seiner Rückkehr zu entfernen. Sie betete, dass es an einer unauffälligen Stelle und nur ein kleiner Fleck sein möge. Ein sehr kleiner Fleck.
»Mach dir keine Sorgen, Sasha«, sagte sie ruhig und beugte sich hinunter, um ihre Tochter auf die Stirn zu küssen. »Wir werden das schon hinbekommen.«
Sasha schien nicht überzeugt. »Papa wird wütend werden«, meinte sie ängstlich.
»Nein, das wird er nicht«, wiegelte Olivia ab und bemühte sich, ihrer Stimme Selbstbewusstsein zu verleihen. Sie nahm Sasha an der Hand. »Zeig mir mal, wo der Fleck ist, dann kümmere ich mich darum.«
Evie saß im Auto auf dem Weg zu Simon und träumte vor sich hin.
Sie trug ein wunderschönes Abendkleid› einen Mantel aus Ozelotfell und wirkte darin kein bisschen wie ein Teddybär. Nein, sie sah wie eine berühmte Filmdiva aus, die zu einer Premiere ging, noch schillernder als Sharon Stone und ganz und gar unerreichbar.
»Madame, darf ich Ihren Mantel nehmen?«
Seine Stimme passte zu ihm: kultiviert und elegant. Das förmliche Dinnerjackett, das er mit einer solchen
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