Geh nicht einsam in die Nacht
in Orvokki eine Art Ersatzmutter.
Pete hielt auch sonst nicht viel von Erklärungen. Er sprach nie über seine Mutter, se on kuollut , sie ist tot, sagte er, als ich ihn das erste Mal fragte, und dabei beließ er es. Sein älterer Bruder Make erzählte mit viel später, high von Tabletten, was passiert war, als Maiju starb. Make erzählte mir die Geschichte an einem kalten Herbstabend oben auf dem Mount Rushmore. Wir saßen in einer größeren Clique an der Kekkonen-Schanze zusammen, tranken sauren Weißwein direkt aus der Flasche, und Make war der wirre Nestor in unserer Gruppe. Damals waren Pete und ich schon seit ein paar Jahren befreundet: Wir hockten erst in jenem Herbst auf dem Rosari – so nannten wir die Anhöhe, Mount Rushmore war zu schwer auszusprechen –, in dem ich mich bereits in Eva Mansnerus’ taktvollen, aber hartnäckigen Stalker verwandelt hatte. Aber Pete hatte mir gegenüber nie ein Wort über den Motorradfahrer und die Tage verloren, in denen Maiju im Krankenhaus lag und Schmerzen litt, bevor sie starb.
Wenn ich mich recht erinnere, wurden Pete und ich unmittelbar nach meiner Ankunft in Tallinge Freunde, obwohl er zwei Jahre älter war als ich: Pete war im Herbst neunundfünfzig geboren, und wir waren in einem Alter, in dem zwei Jahre meistens einen großen Unterschied bedeuten.
Und an dem Punkt wird es seltsam, denn ich erinnere mich nicht mehr, wie es anfing. Ich hätte gerne eine klare und hübsche Geschichte darüber erzählt, wie unsere Freundschaft geboren wurde, zum Beispiel eine, in der Pete mich davor bewahrt, Prügel von Ride Suikkanen und Jami und Nisonen und den anderen Jungen zu beziehen. Oder noch lieber eine Geschichte darüber, wie Pete und ich, die wir einander völlig unbekannt waren, bei einem improvisierten Match auf der Eisfläche unterhalb der Finnischen Gemeinschaftsschule in derselben Hockeymannschaft landen, woraufhin sich herausstellt, dass unser Zusammenspiel traumwandlerisch funktioniert, es ist reine Telepathie, der Puck schießt wie ferngesteuert zwischen den Blättern unserer Schläger hin und her, und wer die Scheibe hat, weiß stets, wohin der andere unterwegs ist, und kann deshalb blind zurückpassen, und so gewinnt unsere Mannschaft mit 18 zu 4, und Pete und ich machen jeweils neun Tore und geben uns natürlich gegenseitig die Vorlagen.
Das erste Szenario wäre durchaus möglich gewesen, denn Pete Everi hatte als Kind eine große Seele. Er stand immer auf der Seite der Schwachen, es war ein natürlicher Reflex bei ihm, ein Instinkt, der so tief in ihm verwurzelt war, dass er seine eigene Sicherheit dafür aufs Spiel setzte. Und ich selbst konnte mich nicht gut schlagen und bezog deshalb regelmäßig Prügel. Das zweite Szenario, das mit dem Hockey, scheitert dagegen an seiner Abwegigkeit. Pete und ich waren keine großen Sportler, vor allem, wenn es um Ballsportarten ging. Die Hockeyasse von Tallinge gaben mir schon im Winter nach meiner Ankunft den Spitznamen Vanhus , Gevatter, denn meine Knöchel waren schwach und gaben nach, wenn ich versuchte, Schlittschuh zu laufen, ich schlurfte gleichsam auf der Innenseite der Schlittschuhe, statt auf der Kufe zu gleiten, und stützte mich außerdem auf den Schläger wie ein alter Mann auf seinen Stock.
Tatsache bleibt: Ich habe keine Ahnung, wie Pete und ich uns anfreundeten, ich weiß nur, dass wir Freunde fürs Leben wurden. Wären wir ein paar Jahre älter gewesen, würde ich annehmen, dass ich mich eines Nachmittags auf den Rosari hinaufgewagt hätte, und dann hätten Pete und Ride und Jami und Nisonen und Barsk und die anderen Jungen aus den Hochhäusern mir zugerufen, und ausnahmsweise hätte ich nicht meinem üblichen Reflex nachgegeben, wegzulaufen, sondern wäre zu ihnen gegangen und geblieben. Aber so kann es sich nicht abgespielt haben, denn Pete und Jami und die anderen hockten damals noch nicht da oben. Petes großer Bruder Make und seine Clique herrschten zu jener Zeit über den Rosari, denn immerhin hatte Makes Jugendfreund Pot-Pesonen sowohl den Hügel als auch die Kekkonen-Schanze getauft.
Ich weiß nur, dass ich auf einmal, schon in meinem ersten Winter in Tallinge, bei Everis am Essenstisch saß, im Stationsvägen 12, Treppenhaus B, siebter Stock, vier Zimmer und Küche und Balkon mit Aussicht auf die anderen Hochhäuser und das Einkaufszentrum und die Eisenbahnlinie und Rosari und Schanze und die ganze Herrlichkeit.
Und ich erinnere mich an die Samstage. Gegen eins gingen Pete und ich zum
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