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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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langatmigen Einleitung gezwungen wurde, ehe er den Witz erzählen konnte. Der Vorfall ist mir nur bekannt, weil ich mir nach einem Sonntag voller mürrischen Schweigens Henrys und Leenis Riesenkrach am folgenden Abend anhören musste.
    In diesem Stil ging es weiter. Henry weigerte sich, die vornehme Lebensweise anzunehmen, die sein Leben im Reihenhaus und seine Position als leitender Angestellter voraussetzten, er behielt sich das Recht vor, ein geradliniger und ungehobelter Typ aus einem Arbeiterviertel zu bleiben. Ohne seine rotweiße Marlboro-Schachtel ging er nirgendwohin, und die giftblaue Rauchwolke in seinem Renault blieb so dick, wie die Countrysänger auf seinen Autokassetten dick auftrugen, wenn sie schmachtend sangen. Leeni tat, was in ihrer Macht stand: Gegen den Tabakrauch besorgte sie eine Dufttüte, eine Art frühe Variante des Wunderbaums, und für das Auto kaufte sie Kassetten mit Mozarts Klarinettenkonzert und Beethovens Klaviersonaten und versuchte, sie in den Rekorder zu schieben, wenn Henry damit beschäftigt war, seine Zigarettenschachtel aus der Innentasche der Wildlederjacke zu ziehen. Sie muss die Hoffnung gehegt haben, das Auto in einen kultivierteren Ort verwandeln zu können, einen Ort der Schönheit und Kontemplation während der langen Urlaubsfahrten zu unserem Sommerhaus in Svartviken. Aber Henry, der immer schneller fuhr als erlaubt, wenn er am Steuer saß, war unbestechlich. »Was ist das denn für ein verdammter Mist!«, platzte er heraus. »Man kann doch nicht so einen Kram hören, wenn man hundertvierzig in der Stunde fährt. Da braucht man Musik mit einem klaren Rhythmus und einer klaren Melodie!« Und daraufhin ließ er weiter Charley Pride und Loretta Lynn und Merle Haggard und wie sie alle hießen laufen.
    Als ich ein Teenager war, versuchte Henry immer noch hartnäckig, mein Interesse für Sport und wüste Spiele zu wecken. Als ich jünger war, hatte er Pfeil und Bogen und Schleudern und Speere für mich gebastelt, während der Julimonate in Svartviken verwandelte er sich in eine regelrechte Spielzeugfabrik. Ich hatte ja keine Geschwister, ich war Henrys einzige Hoffnung, so dass er nicht lockerließ, er kaufte sogar Federballschläger und eine Tischtennisplatte für Svartviken, und im Winter stand die Platte zusammengeklappt in der Garage unseres Vermieters. Im Winter nahm Henry mich unbeirrbar, Jahr für Jahr, zur hässlichen Eishalle in Tölö mit, und im Frühjahr und Spätsommer sahen wir Fußballspiele im Olympiastadion und anderswo und feuerten seinen IFK oder HJK oder KKK oder wie die aktuelle Mannschaft gerade hieß an. Henry lud während der Sportveranstaltungen großzügig zu Getränken und Snacks ein, und als ich in die Pubertät kam und anfing zu rauchen, machte ich es mir zur Gewohnheit, um mehr Geld für Bockwurst, Lakritz und Coca-Cola zu bitten, als ich eigentlich benötigte, und behielt das Restgeld für Zigaretten. Henry wiederum trank während der Begegnungen raue Mengen Kaffee – damals wurde in den Sportstätten noch kein Bier ausgeschenkt –, und zwischen den Schlucken seufzte und grunzte er enttäuscht über die Spieler und Schiedsrichter, und in den Achselhöhlen seiner hellen Hemden, die im Sommer kurze und im Winter lange Ärmel hatten, breiteten sich große, dunkle Schweißflecken aus. Aber er brüllte nie etwas Beleidigendes. Er hatte selbst gespielt, Fußball und Bandy in den unteren Ligen, und wenn ich es recht sehe, schreien und gestikulieren vor allem die Leute auf den Zuschauerrängen, die niemals selbst gespielt haben. Manchmal meinte ich eine Art Zerstreutheit und Geistesabwesenheit bei Henry zu erahnen, wenn er neben mir saß, als hätte er im Grunde verstanden und akzeptiert, dass ich mich für Sport und anderen Männerkram nicht interessierte, als füllte er rein mechanisch die Vaterrolle aus, die von ihm erwartet wurde. Manchmal kam es mir sogar so vor, als wäre auch das Seufzen und Meckern nur Teil seiner Rolle, ein Spiel für die Galerie. Dann aber sah ich mich mit der Frage konfrontiert, ob sich die Schweißflecken unter seinen Armen wirklich spielen ließen, waren sie nicht etwas, wobei selbst Brando und Newman und die anderen Method-Acting-Schauspieler auf Granit gebissen hätten?
    Die Firma, in der Henry arbeitete und deren Name hier keine Rolle spielt, war ein Familienunternehmen im Besitz einer schwedischsprachigen Familie in Helsingfors. Anfang des 20. Jahrhunderts war es als eine unbedeutende Importfirma in der

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