Geh nicht einsam in die Nacht
Mansnerus als auch meinen einzigen Freund verloren hatte und mein Leben da draußen in der Stille verkümmerte, you ain’ seen the sunshine since you don’t know when sang die Pfeife, fast so wie Johnny Cash auf einer von Henrys Autokassetten, und ich dachte nie daran, wie unlogisch es war, dass der finnische Dampfer Jäminki über das Gefängnis in Folsom pfiff, und ich dachte auch nicht daran, dass die Sonne an jedem Julitag dieses Jahres das nördliche Ufer der Svartviken beschienen hatte.
Als ich Ende des Monats nach Tallinge zurückkehrte, hatten sich Jami Johansson und Ride Suikkanen und einige andere der ärmsten Arbeiterjungen T-Shirts mit Stars-And-Stripes-Muster oder helle Cowboyhemden, mit riesigen Kragenenden und der Jahreszahl »1976« in riesengroßer Glitzerschrift auf den Rücken gestickt, beschafft. Sie hatten die Klamotten zur Zweihundertjahrfeier selbst gekauft oder sich von Verwandten schenken lassen, und in manchen Fällen waren sie mit Sicherheit zähneknirschend gekauft worden: So stand Ride Suikkanens Vater Kale politisch links und war sogar volksdemokratischer Parteifunktionär.
In meiner Erinnerung kam die Freundschaft zwischen mir und Pete Everi dank der naiven Bejahung der amerikanischen 200-Jahr-Feier durch unsere Rosarikumpel wieder in Schwung. Pete tauchte nämlich am selben Abend an der Schanze auf wie ich, ich denke, es war auch diesmal der letzte Tag im August. Uns fiel beiden das USA -Glitzern auf, und wir kamen schnell ins Gespräch. Ohne Zeit mit unnötigen Fragen danach zu vergeuden, wie der Sommer gewesen war, bemerkte Pete aus dem Mundwinkel:
»Hier sieht es ja auf einmal aus wie im Hauptquartier der Texas Rangers.«
»Wie in South Dakota statt auf dem alten Rosari«, stimmte ich ihm zu.
»Weißt du noch, was mein Bruder immer sagt?«
»Wer? Make?«
»Nein, verdammt, Make bringt keinen Ton heraus. Ich meine Juha. Du hast doch bei uns gesessen und ihn predigen gehört. Er sagt, die Jungs hier bilden die Kerntruppe, wenn die Revolution kommt.«
»Die Kerntruppe? Wer? Jami und Ride?«
»Ja. Das aus seinem Dornröschenschlaf geweckte Lumpenproletariat. Eine Speerspitze aus gehärtetem Stahl. Oder so ähnlich, ich erinnere mich nicht wortwörtlich.«
»Aber Jami und Ride hassen doch Kommunisten!«, erwiderte ich verblüfft.
»Stimmt«, sagte Pete. »Entweder klärt sie jemand darüber auf, dass sie eigentlich Marxisten sind, oder irgendwer schleppt meinen ältesten Bruder auf den Rosari, damit er mal sieht, wie die Wirklichkeit aussieht.«
» Man does not always know his goals, he cannot tell his trusted friends from his eternal foes «, kommentierte ich.
Ich weiß nicht, woher die Worte kamen, sie rutschten mir einfach heraus. Vielleicht stammten sie aus einem Buch, das ich gelesen hatte, denn ich hatte erst kürzlich »Childhood’s End« von Arthur C. Clarke ausgelesen, und die Formulierung könnte daraus entnommen gewesen sein. Pete Everis Augen blitzten interessiert auf.
»Ich wusste gar nicht, dass dein Englisch so gut ist«, meinte er.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Das habe ich sicher irgendwo geklaut«, bekannte ich widerstrebend.
»Von wem?«
»Keine Ahnung. Ich lese ziemlich viel.«
Später wurde mir klar, dass es nicht nur um die geglückte Zeile ging. Pete sah an jenem Abend noch etwas anderes in mir, vielleicht, dass ich älter geworden war und mittlerweile eher ein Jüngling als ein Kind war. Wenn es so war, dann hatte die Einsamkeit und nichts anderes mich reifen lassen. Aber im heißen Sonnenschein an der Kekkonen-Schanze taten wir so, als drehte sich alles um Konkretes, um Sprachkenntnisse, Liedtexte, Star-Träume.
»Ich habe mit Nisonen und zwei Typen aus Mattisbacka eine neue Band gegründet. The Visitors. Wir haben überlegt, Englisch zu singen, hast du vielleicht Lust, für uns was zu schreiben?«
* * *
Langsam und unmerklich wurde ich daraufhin in Petes und Evas Zweisamkeit aufgenommen. Falls Eva dem komischen kleinen Jungen skeptisch gegenüberstand, der sie im Bus so unverhohlen angestarrt hatte, zeigte sie es jedenfalls nie. Ich nehme an, meine langjährige Freundschaft mit Pete genügte ihr als Garantie. Vielleicht – jetzt gebe ich ein bisschen an – merkte sie auch mit der Zeit, dass ich nicht ganz so kindisch und anhänglich und unangenehm war, wie sie geglaubt hatte.
Ich schrieb vorhin »unmerklich«, weil mir im Grunde nicht bewusst war, was passierte. Pete und Eva äußerten sich mir gegenüber nie über irgendwelche
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