Geh nicht einsam in die Nacht
Hintergrund, eine Frau sagte etwas auf Französisch.
»Diese Biographie ist doch ein Witz«, erklärte ich ohne Umschweife. »Ich hätte das tausend Mal besser hinbekommen, und das weißt du auch.«
»Natürlich weiß ich das«, erwiderte Manner, und ich sah sein Lächeln vor mir. »Und genau deshalb hast du den Job nicht bekommen.«
»Du glaubst, du kannst dir deinen Nachruf selbst aussuchen?«, fragte ich. »Das haben schon viele versucht, aber gelungen ist es noch keinem.«
»Mag sein«, bemerkte Manner lakonisch, »aber es kann ja nicht schaden, es zu versuchen.«
Seine Stimme entfernte sich kurz, und ich hörte ihn auf Französisch »Warte, das dauert nur einen Moment!« sagen. Dann war er wieder da:
»Wo wir schon dabei sind, dein alter Freund Everi hat es mal wieder auf mich abgesehen. Er rief an und versuchte, mich wegen irgendeines Formfehlers in die Pfanne zu hauen, den ich nicht begangen hatte und der selbst dann völlig belanglos gewesen wäre, wenn ich ihn begangen hätte. Ich habe mich so über ihn geärgert, dass ich ihn mitten in einer Frage weggedrückt habe.«
* * *
Es gab einen Zwischenfall einige Monate vor dem endgültigen Fall, der sich als Zeichen dafür deuten ließ, dass die Dinge Manner allmählich entglitten und seine minutiöse Selbstbeherrschung nach Jahrzehnten der Perfektion schwächelte. Der Vorfall nahm nicht die gleichen riesigen Proportionen an wie der spätere Spießrutenlauf, erregte jedoch eine gewisse Aufmerksamkeit.
In Paris wurde eine Retrospektive mit Bildern des berühmten Fotografen Sam Karnow veranstaltet, eine Ausstellung, die später noch im belgischen Gent gezeigt werden sollte. Die Angestellten im Finnischen Kulturzentrum in Paris wussten, dass Manner gut Französisch sprach, und fragten deshalb bei ihm an, ob er die Ausstellung eröffnen wolle. Manner war reserviert, bat darum, den Ausstellungskatalog sehen zu dürfen, sobald er vorlag, und sagte schließlich ab. Zur Eröffnung erschien er jedoch selbstverständlich, da er im Vorstand des Kulturzentrums saß. Bei der Vernissage trank er zu viel und äußerte sich verächtlich über Karnows Fähigkeiten als Fotograf. Karnow hörte ihn zufällig und mischte sich in das Gespräch ein, worauf es zu einer hitzigen und manchen Quellen zufolge regelrecht bedrohlichen Diskussion kam. Als die Medien der Sache auf den Grund gingen, stellte sich heraus, dass Manner versucht hatte, Einfluss auf den Inhalt der Ausstellung zu nehmen. Er hatte verlangt, dass Karnow ein experimentelles Modebild aus den Sechzigern entfernte, auf dem ein verstorbenes finnisches Modell abgebildet war, und Karnows Weigerung hatte Manner veranlasst, die Ausstellung abzulehnen.
* * *
Pete Everi sah ich in dieser Zeit etwas häufiger als Manner. Pete und ich trafen uns mehrmals im Jahr zum Mittagessen und buchten manchmal einen Badmintonplatz und versuchten zu spielen, obwohl Petes Knie das eigentlich nicht mehr zuließen. Hinterher gingen wir nie aus, denn Pete wollte viel Bier trinken, während ich Abstinenzler war, in dieser Hinsicht hatten wir wenig voneinander.
Petes schlechte Knie und sein großer Bierkonsum verdeckten nicht die Tatsache, dass es bei ihm ziemlich gut lief. Er war immer noch mit seiner Anni verheiratet, sie wohnten in einem Reihenhaus in Gröndal. Zwei der vier Kinder waren ausgezogen, seine Tochter Kaisa studierte Marketing in London, und der älteste Sohn Aleksi arbeitete als Webdesigner. Pete beklagte sich nicht mehr so oft wie früher, wahrscheinlich konnte er seiner moralischen Verbitterung auf der Arbeit freien Lauf lassen. Er hatte seine Nische gefunden, er war schreibender Journalist eines Typs, wie man ihn häufiger im Fernsehen findet: streng, wissbegierig und zu hundert Prozent von der eigenen moralischen Überlegenheit überzeugt. Er hatte nie eine feste Stelle gehabt, sich jedoch eine etablierte Position als regelmäßiger und zuverlässiger Mitarbeiter von Zeitungen wie Helsingin Sanomat und Suomen Kuvalehti erarbeitet. Er schrieb auch für andere Zeitungen, und seine Artikel waren, wie sie immer gewesen waren: gediegen, ein bisschen langweilig und mittlerweile offen moralisierend.
Es wunderte mich nicht, dass es Pete war, der Jouni Manner zu Fall brachte. Dagegen habe ich nie ermittelt, wie lange und wie aktiv Pete schon versucht hatte, Manner fertigzumachen. Als es passierte, stellte ich lieber keine Fragen, da ich mit beiden befreundet war und für keine Seite Partei ergreifen wollte.
Immerhin weiß ich,
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