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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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größten Boulevardzeitung zu verkaufen, um ihm das nötige Gewicht und den größten Effekt zu sichern – und die ganze Medienwelt auf den Zug aufsprang, brachen alle Dämme.
    Der einige Monate zurückliegende Zwischenfall mit Fotograf Karnow wurde ausgegraben und als ein Zeichen für Manners unmoralischen Lebenswandel gedeutet: Was hatte er eigentlich mit diesem toten Fotomodell getrieben, um dessen Bild es bei dem Streit ging? Von Manners Exfrauen widerstand Carita dem Druck der Medien, während Tuulikki Vennola und Sirpa sich negativ über Manners Charakter äußerten. Manners Töchter wechselten die Handynummern und hielten ihre neuen Nummern und Adressen so geheim, wie es nur ging, außer Suvi, die für eine Filmproduktionsfirma PR machte und sich den Journalisten kaum entziehen konnte. Und es kam noch schlimmer. Als der Sturm der Entrüstung am heftigsten raste, meldete sich ein abgedankter Geschäftsmann namens Mikko Ervander zu Wort und erzählte von einer fast vierzig Jahre zurückliegenden Körperverletzung, für die Manner und einige seit langem tote Schurken verantwortlich gewesen waren. Und nachdem die Medien noch das Letzte aus der Ervander-Affäre herausgequetscht hatten, meldete sich ein pensionierter Tontechniker namens Tapio Paldanius im Fernsehen zu Wort und erzählte, Jouni Manner habe seinem verstorbenen jüngeren Bruder Pete einst ohne jeden Grund den Arm gebrochen.
    Der Sturm um Manner raste das ganze Frühjahr 2004, kurz vor der Europawahl, und es versteht sich von selbst, dass Manner nach einem so freien Fall vom Sockel nur noch auf seine Kandidatur verzichten und seine politische Karriere beenden konnte. Der bloße Verdacht, dass er nicht nur sein üppiges Gehalt als Europaparlamentarier, sondern auch seine Aufwandsentschädigungen dafür benutzt hatte, ein geheimes Leben mit einer Begleiterin zu finanzieren, reichte völlig: Immerhin ging es, letzten Endes, um öffentliche Gelder.
    Als sich der Sturm gelegt hatte, zog Manner sich zurück und gründete nach einer selbstauferlegten Quarantäne von anderthalb Jahren eine Firma und arbeitete als Unternehmensberater. In der Politik tauchte er nur noch als inoffizieller Ratgeber und graue Eminenz auf.
    Es gab Details in Petes Artikel, die durchaus das Ende meiner Freundschaft mit Manner hätten bedeuten können. Pete beschrieb unter anderem, wie Manner als Vierzigjähriger während eines Sommers Mitte der achtziger Jahre im Café Metropol knapp zwanzigjährige Mädchen verführt hatte. Das war eine Information, die von keinem anderen stammen konnte als mir, was Manner bewusst gewesen sein muss. Dennoch machte er mir keine Vorwürfe. In den folgenden Jahren hatten wir aus anderen Gründen nur sporadisch Kontakt – der Skandal hatte Manner menschenscheu gemacht – und verständigten uns hauptsächlich über E-Mail. Manner war nur selten bereit, mir etwas über die Affäre zu sagen oder zu schreiben, die zu seinem Sturz geführt hatte. Einmal, bei einem unserer immer selteneren Essen in seiner Wohnung, meinte er zu mir, Marie habe ihn dazu gebracht, sich wieder glücklich zu fühlen, »als säße ich am Ufer der Djurgårdsviken und das ganze Leben läge vor mir«. Ein anderes Mal schrieb er mir, er habe einen klassischen Fehler gemacht, aber nicht im 21. Jahrhundert, sondern vor langer, sehr langer Zeit. Er habe zugelassen, dass der Erfolg ihn einsam gemacht habe, er habe vergessen, dass der Karrierist als Gegengewicht zu den Feinden, die man sich unausweichlich mache, wenn man gewinne, loyale Freunde brauche.
    »Sich stärker zu machen als alle anderen führt zu Einsamkeit«, schrieb er: »Es ist die Schwäche, in der es Gemeinschaft gibt, sie ist es, die wir Menschen miteinander teilen können. Die Stärke isoliert einen, und eines Tages bricht man dann plötzlich mitten entzwei.«
    Manners Mails waren oft in einem dringlichen Ton verfasst. Es war ein Tonfall, den ich seit Mitte der neunziger Jahre von ihm kannte, und es kam mir vor, als hätte er mir mehr sagen wollen, offener mit mir sprechen wollen, ohne es jedoch zu wagen oder zu können. Im eben erwähnten Fall begriff ich nicht wirklich, worauf er hinauswollte, und versuchte, ihn zu bewegen, sich genauer zu erklären. Aber das wollte er nicht, und danach kommentierte er seine Niederlage nie mehr.
    Der Mann auf der Straße fand Manners Schicksal faszinierend, die Leserbriefseiten und Chatforen waren voller Kritik und höhnischer Scherze über sein Leben in Brüssel. Keiner schien zu

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