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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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begreifen, was in ihn gefahren war. Ich bildete mir dagegen ein, ihn zu verstehen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Manner, oder zumindest ein Teil von ihm, einfach nur erwischt werden und dem Ganzen ein Ende machen wollte.

2
    EIN JAHR NACH der Manner-Affäre rief mich Pete im Vorsommer an. Wir hatten kurz vor Weihnachten das letzte Mal telefoniert, Winter und Frühjahr waren für uns beide eine hektische Zeit gewesen.
    »Make ist gestorben«, sagte Pete. »Letzte Woche.«
    Ich rechnete schnell nach. Pete war zwei Jahre älter als ich. Make Everi war, wenn ich mich recht erinnerte, drei Jahre älter als Pete. Also nicht einmal fünfzig. Aber ich wusste ja, wie er gelebt hatte.
    »Woran …?«
    »Das Herz«, antwortete Pete. »Einer seiner Kumpel machte sich Sorgen, als er zwei Tage hintereinander nicht in der Kneipe auftauchte. Ein Typ von der Hausverwaltung ging in die Wohnung, und da lag er.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich.
    »Ich habe mit meinem Vater gesprochen«, fuhr Pete fort. »Er lässt fragen, ob du dir vorstellen könntest, einer der Sargträger zu sein, du kommst ja aus Tallinge. Ihm selbst fehlt die Kraft.«
    Veka Everi wohnte seit ein paar Jahren in einem Altersheim und war gebrechlich, es war klar, dass er nicht die nötige Kraft haben würde, den Sarg seines mittleren Sohnes zu tragen. Ich erinnerte mich an damals in Jyväskylä, als ich Henry sah und so überrascht war, dass ich um ein Haar den Sarg meiner Mutter hätte fallen lassen. Das war jetzt fünfzehn Jahre her, und seitdem hatte ich keinen Sarg mehr getragen.
    »Natürlich«, sagte ich. »Wer sind die anderen?«
    »Du und ich und Juha und mein Aleksi«, antwortete Pete. »Klasu Barsk hat versprochen zu kommen. Und Immu oder Minnas Mann Henkka wird wohl der letzte sein.«
    Ich stand da und nickte dämlich in mein Handy, ohne zu bedenken, dass Pete das natürlich nicht sehen konnte. Aber ich gab keinen Laut von mir, und Pete schien das als eine unausgesprochene Frage zu deuten.
    »Makes Freunde sind Wracks«, sagte er. »Ich traue mich nicht, einen seiner Saufkumpane den Sarg tragen zu lassen.«
    Ich sagte, das könne ich verstehen, räusperte mich und nahm Anlauf, um das Gespräch zu beenden, aber Pete kam mir zuvor: »Du … da ist noch etwas.«
    »Ja?«
    »Ich müsste bei Make aufräumen und könnte ein bisschen Hilfe gebrauchen. Du hast am Sonntag nicht zufällig Zeit?«
    * * *
    Pete und ich verbrachten den ganzen Sonntag in Tallinge. Es war ein seltsames Gefühl: Fünfundzwanzig Jahre hatte ich den Ort gemieden, meine Besuche dort ließen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Bei Pete war das anders. Sein Vater hatte bis vor wenigen Jahren im Stationsvägen und Make bis zum bitteren Ende in der Nybogatan 17 gewohnt.
    Die enge Wohnung im Erdgeschoss roch schlimm und war in einem unbeschreiblichen Zustand. Pete hatte mich gewarnt, ehe er den Schlüssel ins Schloss steckte, aber ich schreckte dennoch vor dem Geruch und dem Anblick zurück. Ich muss ein angeekeltes Gesicht gemacht haben (und ja, ich dachte wirklich, dass es Verwesungsgeruch war), denn Pete schnitt eine halb amüsierte, halb traurige Grimasse und sagte:
    »Es ist nicht, wie du denkst, hier hat es immer schon so gestunken. Er hat hier nur ungefähr einen Tag lang gelegen.«
    Wir putzten zielstrebig und sehr energisch, als wären wir das routinierte Zweimannteam eines Putzdienstes. Wir sprachen kaum miteinander, und manchmal verging eine halbe Stunde, ohne dass einer von uns etwas sagte. Stattdessen legten wir Platten auf, Makes alte Vinylscheiben, erdige und wilde Lieder, The Sunshine Of Your Love und Paranoid und Child In Time und solche Sachen. Ich fand es beeindruckend, aber auch beängstigend, dass es Menschen gab, die ihr Leben lang die Lieblingslieder ihrer Teenagerjahre hörten, und hätte beinahe etwas über das Manische und Traurige eines solchen Lebens zu Pete gesagt, aber dann wurde mir bewusst, dass wir vielleicht noch beängstigender waren, die wir Jahr für Jahr jeder neuen Mode hinterherrannten: sich niemals zu gestatten, etwas zu lieben und ihm treu zu bleiben, war vielleicht das manischste Verhalten von allen, überlegte ich, schluckte meine Bemerkung hinunter und ließ Ian Gillan weiterschreien.
    »Ich wollte dich etwas fragen, Frankki«, sagte Pete, als wir in der verrauchten Küche saßen, Kaffee tranken und die leckeren belegten Brote aßen, die Anni für uns gemacht hatte.
    »Schieß los«, sagte ich.
    »Bist du wegen der Sache mit Manner wütend

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