Geh nicht einsam in die Nacht
aufgetaucht war, der Unwille, sich an Handlungen zu erinnern, die sicher notwendig gewesen waren, im Nachhinein jedoch schrill und übertrieben wirkten, war nie verschwunden. Nun aber trotzte ich ihrem Widerwillen gegen die Vergangenheit. Ich erzählte ihr, dass ich einige Tage zuvor in Adrianas Tagebüchern geblättert und woran ich gedacht hatte, als ich bei The Passenger die jungen Gesichter studierte, und auch, dass mir sie, Pete und ich auf Aspholm in den Sinn gekommen waren.
Eva schauderte, es geschah fast unmerklich, aber ich sah es. Für einen flüchtigen Moment wirkte sie fast gereizt.
»In Addis letzten Büchern gibt es so schreckliche Stellen«, meinte sie. »Du musst dein Versprechen halten, niemals …«
»Das Versprechen halte ich«, erwiderte ich. »Das weißt du.«
Sie sah mich lange voller Wärme an. Diesen Blick kannte ich. Er war nicht nur warm, sondern auch kokett, es war ein Blick, den sie mir oft zugeworfen hatte, als wir jung und zusammen waren, und ich hatte immer weiche Knie davon bekommen. Jetzt machte er mir Mut, auf dem offenherzigen Weg weiterzugehen.
»Da in dem Café …«, begann ich tastend. »Ich habe mich an einen Sommer erinnert. Oder besser gesagt an ein Frühjahr. Als wir in der Sonne lagen und unsere Reise planten. Du hattest einen roten Bikini an.«
»So, so, einen roten Bikini … an so etwas erinnerst du dich also«, erwiderte Eva gespielt drohend. »Also ich erinnere mich an etwas ganz anderes. Ich erinnere mich an jemanden, der mich im Stich ließ.«
»Kann sein, dass ich das tat. Aber ich glaube nicht, dass ich dir jemals gesagt habe, warum.«
»Du musstest arbeiten. Für Jouni Manner und noch jemanden. So lautete jedenfalls deine Erklärung. Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass das eine Ausrede war?«
Es lag Wärme unter ihrem Sarkasmus, und ich beschloss, weiterzumachen.
»Ich blieb zu Hause, weil ich es nicht ertrug, nur dein Freund zu sein. So einfach war das. Ich wollte nicht die Nächte mit dir verbringen, wenn ich nicht mit dir schlafen durfte.«
Eva reagierte wie immer, wenn ich sentimental wurde, sie wurde betont direkt: »Jetzt übertreibst du in die andere Richtung. Ich hätte dich mit Sicherheit sexuell ausgenutzt, aber anschließend hätte ich dich weggeworfen wie einen benutzten Putzlappen.«
Mir fiel keine schlagfertige Erwiderung ein, und wahrscheinlich schaute ich verwirrt, denn Eva fuhr fort: »Von Frauen hast du nie etwas verstanden, Kapi. Da bist du nicht der Einzige, aber selbst für einen Mann bist du ungewöhnlich schwer von Begriff.«
»Wir würden nicht so schwer von Begriff wirken, wenn ihr Frauen ein wenig ehrlicher in euren Absichten und Wünschen wärt …«, versuchte ich zu entgegnen, aber Eva unterbrach mich: »Glaubst du, dass Liebe und Begierde dasselbe sind?«
»Nein, das glaube ich schon seit der Pubertät nicht mehr. Warum fragst du?«
»Ich glaube es auch nicht«, erklärte Eva, ohne meine Gegenfrage zu beachten. »Findest du, dass sie leicht auseinanderzuhalten sind?«
»Nein, nicht immer«, antwortete ich und fühlte mich, als säße ich in einer altmodisch strengen Prüfung.
»Und glaubst du, dass sie nebeneinander existieren können?«
Ich sah mich gezwungen, ernsthaft nachzudenken.
»Doch«, sagte ich schließlich. »Unter günstigen Umständen. Aber selten besonders lange.«
»Manchmal«, sagte Eva, »dauert es lange, bis man versteht, was man fühlt, Liebe oder Begierde oder beides. Es dauert so lange, dass eins von beiden erloschen ist, wenn man endlich begreift, dass es beides war.« Sie schaute schnell fort, begegnete dann jedoch wieder meinem Blick und sah mir in die Augen: »Aber ich werde dich immer lieben.«
Wir kannten uns seit über dreißig Jahren, und der Kloß in meinem Hals war ein Dreißigjahrekloß. Mindestens. Und ich wusste natürlich, was ich sagen musste, und ausnahmsweise war es auch das, was ich sagen wollte. Trotzdem fiel es mir furchtbar schwer, die Worte herauszubringen, es dauerte eine Weile, aber schließlich schaute ich nach unten und murmelte:
»Ich liebe dich auch.«
Eva nahm meine Hand, die schlaff und hilflos auf dem Tisch lag, und drückte sie, es war eine spontane Geste.
»Du brauchst mir nie etwas zu sagen, weil du meinst, dass du das tun musst, Kapi. Vergiss das nicht. Du musst mich nicht lieben, nur weil ich dich liebe.«
Dann nahm sie ihr Weinglas, hielt es sich unter die Nase und sog den Duft ein. Sie schaute sich in dem bereits halbleeren Restaurant um, und mir
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