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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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aber ihrem Mann Paul begegnete ich nie, ich wollte den beiden wirklich eine Chance geben. Aber wem versuche ich hier eigentlich etwas vorzumachen? Ich wollte mir eine Chance geben, in ihrer Abwesenheit hatte ich zwei Beziehungen und lebte sogar mit einer Frau zusammen. Aber es hielt nicht, weder bei Eva noch bei mir. Als sie zurückkehrten, war Nadia schon sechzehn, und Eva begann, für Didrichens Museum zu arbeiten, und eröffnete mit einer Freundin eine Galerie, und schließlich fingen wir wieder an, uns zu treffen. Und dabei blieb es, wir trafen uns als Freunde, reife, abgeklärte Freunde, aßen in teuren Restaurants (wenn Eva einlud) und in etwas billigeren (wenn ich einlud), und manchmal aßen wir bei ihr und vereinzelt auch bei mir. Anfangs war Nadia manchmal dabei, verschwand aber schon bald in ihrem eigenen Leben, und daraufhin waren Eva und ich wieder zu zweit, wie vor langer Zeit, was jedoch nie dramatische Folgen hatte. Wenn Eva ihre zwei oder drei Gläser Wein getrunken hatte und unsere Espressotassen geleert waren, seufzte einer von uns – zu Beginn war es immer Eva, doch mit der Zeit zwang mich mein Stolz zu versuchen, ihr zuvorzukommen – zufrieden, streckte sich und sagte etwas über den kommenden Arbeitstag und dass es vielleicht besser sei, ein Taxi zu bestellen. Und das war gut so.
    Ich ging auch zum anschließenden Essen, obwohl ich im Grunde nicht wollte. Ich ging hin, weiß ich wusste, dass Eva nur wenige Verwandte und recht wenige enge Freunde hatte. Es kam, wie ich befürchtet hatte, ich landete an einem Seitentisch in der dunkelsten Ecke und musste mit einer von Evas angereisten Kolleginnen Konversation machen, einer in Boston lebenden Tschechin, die komplizierte Dinge über Madonnenbilder und Giottos Farbbehandlung von sich gab, Dinge, die meinen Horizont bei weitem überstiegen. Beim Kaffee, als die Gäste die Plätze wechselten, unterhielt ich mich eine Weile mit Jinx Muhrman, die aus Reykjavík angereist war, wo sie seit vielen Jahren lebte. Ich hatte Jinx – mittlerweile nur noch Janina oder Janna – seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen. Sie arbeitete als Kinderbibliothekarin auf Island, aber ihre Gedankengänge waren immer noch unberechenbar und ihr Mundwerk lose, und als ich ihren Indiskretionen lauschte, ging mir ständig durch den Kopf: Ich habe mit dieser Frau geschlafen, ich habe mit dieser Frau geschlafen, warum nur? Ihr Wortschwall ermüdete mich, und ich entschuldigte mich früh, beglückwünschte Eva noch einmal und ging heim.
    * * *
    Am folgenden Freitag organisierten Nadia und ihre Freunde ein Weihnachtskonzert. Nadia hatte im Frühjahr die Schule beendet, sie spielte Geige und war auf ein Kunstgymnasium in Tölö gegangen. Eine Handvoll alter Schulkameraden hatten sich zusammengeschlossen und Karten an Freunde und Verwandte verkauft. Sie hatten ein Künstlercafé gemietet, und die musikalischen Darbietungen waren alles andere als traditionell: Sie spielten Staffan war ein Stallknecht auf nach Hendrix klingenden E-Gitarren und Sylvias Weihnachtslied auf Samisch, und es gab sogar einen Jungen, der auf Gamelan-Instrumenten spielte.
    Die meisten der aufgeführten Lieder hatten trotz allem eine Verbindung zu Weihnachten, aber am Ende des Konzerts trat Nadia noch einmal auf – sie beherrschte ihr Instrument wirklich gut und hatte bei mehreren Nummern mitgewirkt – und erklärte, sie wolle ein Stück spielen, das zwar kein Weihnachtslied, aber ein Lieblingssong ihrer Mutter sei. Daraufhin spielte sie zusammen mit einem Gitarristen, einem Cellisten und einem Kontrabassisten Iggy Pops The Passenger , und Eva, die neben mir saß, versuchte erst gar nicht, sich zu beherrschen, und ließ ihren Tränen freien Lauf.
    Während das Quartett das traurige und trotzige Lied spielte, ließ ich den Blick diskret über die Menschen in dem Café schweifen. Das Lokal war völlig überfüllt, und die meisten Zuhörer waren im selben Alter wie Nadia, wir Eltern und Freunde von Eltern waren eindeutig in der Minderheit.
    Nadia und ihr Freundeskreis hatten sich im Verlauf des vergangenen Jahres radikalisiert, was man auch an ihrem Äußeren sah. Es gab viele Rastazöpfe und helle und zauselige Bärte, und mehrere Mädchen hatten möhrenrote Haare und eine junge Frau sogar einen neongrünen Irokesenschnitt. Im ersten Jahr nach ihrer Heimkehr hatte Nadia ihren schwedischen Gothic-Stil aufgegeben, sie und ihre neuen Freunde in Helsingfors hatten modische Jeans mit absurd niedrigen

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