Geh nicht einsam in die Nacht
braucht Stenka ein neues Betätigungsfeld. In seinem Plattenladen kauft kein Schwein ein, ist doch klar, dass er was Neues probieren will! Außerdem hat er auch noch andere Künstler unter Vertrag, wie erklärst du dir das dann bitte schön, meinst du, er will auch noch mit allen von Instinct und von den Namedroppers schlafen?«
Der Winter 1966 entwickelte sich zum schneereichsten seit Menschengedenken. So würde er ihnen später in Erinnerung bleiben: ein endloses Stapfen und Stiefeln durch Schneemassen und über Schneewälle, lange Fußmärsche mit steifgefrorenen Zehen und Atemluft, die wie ein Federbusch vor dem Mund stand, von daheim zur Universität oder zur Arbeit, von dort zum Probenraum und von dort zum Colombia und Expresso und den anderen Cafés in der Innenstadt.
Wenn sie einen Auftritt hatten, kutschierte Stenka Waenerberg sie in seinem eigens importierten Ford Mercury, Modell -55. Stenka wohnte in der Fredriksgatan und holte als Erstes Adriana ab, dann fuhr er nach Berghäll, wo Jouni und Ariel vor dem neuen Behördengebäude warteten. In der Regel hatte Stenka seinen Assistenten dabei, einen ehemaligen Jazzpianisten namens Nuortamo, der in den Jahren im Old House dem Suff verfallen war. Ariels und Adrianas Gitarren lagen bei jeder Kälte im Kofferraum des Mercury, und wenn sie ihr Ziel erreichten, wollten die Instrumente die Stimmung nicht halten. Wenn sie nach den Auftritten heimfuhren, war es bereits mitten in der Nacht, auf beiden Seiten der Straße türmten sich hohe Schneewälle auf, und der Mercury geriet in den ungestreuten Kurven ins Schleudern. Nuortamo saß auf dem Beifahrersitz und spielte auf seiner Mundharmonika, und Adriana schlief unweigerlich ein. Vielleicht wiegte Nuortamos Spiel sie in den Schlaf, vielleicht auch das dumpfe Brummen des Motors: Jedenfalls schlummerte sie ein und schlief so tief und fest, dass weder holprige Landstraßen noch Stenkas fahrlässiger Fahrstil sie weckten. Und auf der Rückbank bevorzugte sie ausnahmsweise keinen, wenn sie in der einen Samstagnacht den Kopf auf Ariels Schulter legte, war es beim nächsten Mal stets Jounis Schulter.
Sie feierten selten große Erfolge, aber es gab auch keine Katastrophen. Ein einziges Mal wäre die Sache beinahe schiefgegangen. Waenerberg hatte ihnen einen Auftritt im fernen Orimattila besorgt, und das betrunkene Freitagabendpublikum verlangte Tanzmusik. Sie waren kurz davor, gelyncht zu werden, und Stenka hatte Nuortamo schon auf den Hinterhof geschickt, um für den Fall, dass sie Hals über Kopf aufbrechen müssen würden, schon einmal den Motor des Mercury anzulassen. Doch Ariel rette sie mit seiner Vielseitigkeit. Er brach Geh nicht einsam in die Nacht bereits nach zwei Strophen ab und spielte stattdessen das Intro zum Tango Satumaa . Anschließend hämmerte er die Akkorde und sang mit seiner hellen und leicht unsicheren Stimme aavan meren tuolla puolen, jossakin on maa , Jenseits des weiten Meeres, irgendwo ist dort ein Land. Adriana und Jouni stimmten ein, und Adriana hatte einen Geistesblitz und begann, auf ihrer Gitarre mit der flachen Hand den Takt zu schlagen, statt zu Ariel hinüberzuschielen und zu versuchen, die Akkorde zu spielen. Als sie Satumaa beendeten und unverzüglich mit einem weiteren Tango weitermachten, bekamen sie bereits spärlichen Applaus, und Nuortamo konnte den Motor ausstellen, in den Festsaal zurückkehren und sich aufwärmen.
Während des langen Winters schlug Adriana sich weiter bevorzugt auf Ariels Seite. Manchmal sprach sie plötzlich Schwedisch mit Ariel, und manchmal tat sie das Gleiche, wenn Stenka Waenerberg dabei war. Die anderen wussten, dass sie die Sprache wechselte, um Jouni zu ärgern. Doch Jouni amüsierte das bloß. Sein Schwedisch war zwar nicht besonders gut, aber es machte ihm Spaß, die Sprache zu sprechen. Als Jouni klein war und Sulo noch bei ihnen wohnte, hatte er seinen Vater zu Elina sagen hören, die Schweden in Finnland seien ein Herrenvolk und wer aus der Arbeiterklasse stamme, solle sich davor hüten, etwas mit ihnen zu tun zu haben. Aber während seiner Jahre im Stadtteil Hertonäs war Jouni oft in östliche Richtung gedriftet oder geradelt und hatte mit schwedischen Milchbauern gesprochen, die Karlsson und Johansson oder so ähnlich hießen, Bauern, die langsam verdrängt wurden, als die Stadt im Osten wuchs. Diese Landwirte waren keine strengen Herren, sondern lustige Burschen gewesen, und einer von ihnen hatte Jouni seine Lieblingsphrase auf Schwedisch
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