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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Haarpracht ringelte sich immer weiter den Rücken hinunter, und sie kleidete sich immer kühner, in ungewöhnlichen Kombinationen, mit langen Hosen, Hüten, Halstüchern und Blusen und leuchtenden Farben. Diese Blusen schmiegten sich an Adrianas schlanken Oberkörper, und im Hochsommer hatten Jouni und Ariel durch den Stoff hindurch ihre Brustwarzen gesehen: Sie hatte in der Hitze den BH weggelassen.
    Die Veränderungen betrafen allerdings nicht nur Aussehen und Kleidung. Ariel hatte seine Gitarre, seine Lieder und sein verträumtes Wesen, Adriana und Jouni dagegen wurden immer ungeduldiger. Sie sprachen oft und laut darüber, dass Helsingfors abseits von allem lag, als wäre die Stadt ein kleiner und vergessener Planet in einem Science-Fiction-Roman, und sie erzählten sich Anekdoten, die sie über das moderne Leben in Städten wie London, New York und Paris gelesen hatten. Auch Stockholm war ein Vorbild, denn dort demonstrierte man gegen Vietnam, und erfolgreiche Sänger marschierten mit ihren Gitarren an vorderster Front, und die Mods hatten den faschistischen Bullen getrotzt und mit Steinen geworfen und in den Häuserblocks der Innenstadt Schaufenster zertrümmert.
    Sie bekamen in jenem Herbst einen Manager namens Sten-Erik Waenerberg. Er sah sie bei der Weihnachtsgala Girl From The North Country , The Sound Of Silence und Geh nicht einsam in die Nacht singen und suchte sie hinterher auf. Ariel und Adriana erkannten ihn. Waenerberg hatte zu den Stammgästen und Organisatoren in dem inzwischen eingegangenen Jazzclub Old House gehört, den Ariel und Adriana in seinem letzten Jahr mehrfach besucht hatten, bevor das alte Holzhaus zum Abriss freigegeben wurde und das Old House schließen musste.
    Sten-Erik Waenerberg wurden von allen nur Stenka genannt. Er schien ganz Helsingfors zu kennen, zumindest kannte er alle, auf die es ankam. Er war Ende zwanzig und besaß einen kleinen Plattenladen: Das Geschäft war auf Jazz spezialisiert, aber Stenka importierte daneben auch Blues, Folk und Pop. Stenka kleidete sich wie ein Jazzbohemien. Ein wenig altmodisch, weißes Hemd, Jackett, manchmal trug er sogar eine Krawatte. Aber er hatte sich Koteletten zugelegt, und seine lockigen Haare waren im Nacken lang: Zwei Jahre zuvor hatte er die Haare noch kurz geschoren getragen, glaubte Ariel sich zu erinnern.
    Stenka Waenerberg war energisch, furchtlos und schlagfertig, und als Jouni, Ariel und Adriana sein Angebot annahmen, waren sie zunächst sehr erleichtert, vor allem Jouni. Er mochte Stenka zwar nicht, überhaupt nicht, war aber froh, dass ihm von nun an die Schacherei ums Geld erspart blieb. Es war nämlich Jounis Aufgabe gewesen, mit den Veranstaltern zu verhandeln, was er leider nicht besonders gut konnte. Er hasste es, über Geld zu sprechen, und so hart er einst an den Straßenecken gewesen war, wo man die Fäuste sprechen ließ, so unbeholfen stellte er sich an, wenn er sich mit Festorganisatoren und ihren flinken Mundwerken herumschlagen musste. Es hatte ihn gequält, Ariels und Adrianas enttäuschte Mienen zu sehen, wenn er ihre Dienste wieder einmal für ein paar lumpige Zehner pro Person und Abend verhökert hatte.
    Nachdem Stenka sie im neuen Jahr übernommen hatte, traten sie immer öfter auf und bekamen höhere Gagen. Die Musik beanspruchte so viel Zeit, dass Jounis Studium darunter litt. Ihm selbst war das egal, da er bereits ahnte, dass er zu rastlos war, um jahrelang zu büffeln und Prüfungen abzulegen, aber seine Mutter sprach ihn häufig auf das Thema an. Adriana schien ihr Studium der Kunstgeschichte und Literatur auf die leichte Schulter zu nehmen – die kann sich das ja auch leisten, dachte Jouni sarkastisch –, und für Ariel schien die Musik zum einzigen und alles andere überragenden Interesse geworden zu sein. Jouni, der immer noch nebenher als Hausmeister und auf verschiedenen Baustellen jobbte, fragte sich manchmal, woher Ariel eigentlich sein Geld bezog: Er hatte erstaunlich viel davon.
    Trotz Waenerbergs Effektivität waren Jouni und Ariel ausgesprochen misstrauisch. »Unser eigener Eppie« nannte Ariel ihn nach Brian Epstein, dem Manager der Beatles, und sein Ton war dabei wenig schmeichelhaft. Einmal äußerte Jouni beiläufig den Verdacht, dass Stenka sich ihrer nur angenommen hatte, um eines Tages in Adrianas Bett schlüpfen zu dürfen. »Das ist echt so ein verdammtes Scheißgelaber!«, fauchte Adriana wütend und zog heftig an ihrer Zigarette. »Das Old House gibt es nicht mehr, und deshalb

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