Geh nicht einsam in die Nacht
langhaarigeren Sorte, die man Hippies getauft hatte, so dass Ariel bei weitem nicht so ins Auge stach wie daheim in Helsingfors.
Ariel schuftete einige Wochen und schlief manchmal im gelben Gang und manchmal in Hurmes Wohnung in der obersten Etage eines Mietshauses im Vorort Bandhagen. Während die Tage und Nächte vergingen, übermannte ihn immer größeres Grauen. Die ältesten Männer um Slussen waren zwischen vierzig und fünfzig und gehörten noch der Generation an, die in den Kriegen gekämpft hatte. Einige von ihnen waren bereits in den ersten Friedensjahren eingetroffen, die in Finnland die Jahre der Gefahr genannt wurden, weil damals keiner gewusst hatte, auf welcher Seite das Land in der neuen, zweigeteilten Nachkriegswelt landen würde. Die anderen waren eher in Ariels Alter, und er sah durchaus, was ihnen fehlte. Sie ähnelten ihm selbst, sie waren die Kinder von Vätern, die im Krieg umgekommen oder von ihm gezeichnet und alkoholabhängig und verrückt heimgekehrt waren, von Vätern, die Messer gezogen und Frau und Kind mitten im Winter auf die Straße geworfen hatten, wenn ihnen der Sinn danach stand. Und hier standen jetzt die Söhne dieser kaputten Soldaten und schlugen den gleichen Weg ein: Suff, Drogen, Einbrüche, Diebstähle, Hehlerei, Gewaltverbrechen, Prostitution, alles nichts Besonderes.
Wenn Ariel bei Hurme in Bandhagen wohnte, musste er trinken, denn die Wohnung war immer voller zechender Männer und Frauen. Sogar der Ringer tauchte manchmal auf, so dass Ariel zu den wenigen gehörte, die den Drogenboss jemals zu Gesicht bekommen hatten und wussten, wie er aussah. Wenn Ariel unten im gelben Gang oder unter freiem Himmel schlief, legte er sich unter eine schimmelige Decke, die er sich von Hurme geliehen hatte. Die braune Umhängetasche diente ihm als Kopfkissen, und den Koffer mit der Levin-Gitarre hielt er bis zum Einschlafen krampfhaft fest. Wenn er schlief, lockerte sich sein Griff natürlich: Es wäre ein Leichtes gewesen, ihm den Gitarrenkoffer aus der Hand zu nehmen, und es grenzte an ein Wunder, dass sich das Instrument beim Aufwachen noch an seiner Seite befand.
Nach ein paar Wochen hatte er Glück. An einem kühlen Abend Mitte Juni saß er in einer Spelunke in der Nähe des Mariatorget. Er hatte sich in die Kneipe begeben, um sich aufzuwärmen, und machte die Bekanntschaft einer Gang von Mods aus dem Vorort Jakobsberg. Es waren eine Handvoll Jungen und zwei Mädchen, sie waren ein paar Jahre jünger als er, und jeder der Jungen hatte in einem Heim für Schwererziehbare gesessen und zwei von ihnen sogar im Gefängnis. Es waren harte Burschen – Ariel fand, dass einer von ihnen, der Anführer Ronny, an Jouni Manner erinnerte –, aber aus irgendeinem Grund fanden sie Gefallen an Ariel. Eins der Mädchen, sie hatte rote Haare, war pickelig und hieß Marga, fand mehr Gefallen an ihm als die anderen, und für einen knappen Monat waren sie und Ariel zusammen. Die ganze Gang wohnte gemeinsam in einer nahezu unmöblierten Bude in einem zum Abriss verurteilten Haus nahe Zinkensdamm auf Södermalm und in einem kleinen Holzhaus in Jakobsberg: Ariel begriff nie, wer die Wohnung in der Stadt mietete oder wem das Holzhaus gehörte, und es interessierte ihn auch nicht.
Sie trieben sich oft in der frisch erbauten City herum, bewegten sich durch die Häuserblocks zwischen Hötorget und Hauptbahnhof. Manchmal saß Ariel fast den ganzen Tag in den Gängen der U-Bahn oder an eine Hauswand gelehnt und spielte Gitarre, wozu Marga ihn ermunterte, weil sie fand, dass er wunderbar spielte. Zwei der Typen rauchten Haschisch, und Ariel schaffte es nicht, Nein zu sagen: Er begann wieder zu rauchen. Andererseits tranken die Mods kaum harte Sachen, sie begnügten sich meistens mit Wein und Bier. Lebensmittel stahlen sie im Supermarkt und bekamen immer genug zusammen, damit alle satt wurden. Ariel gehörte zu den tollkühnsten Dieben. Er schrieb in diesen Wochen auch zwei neue Lieder, er wusste es damals nicht, aber es sollten seine letzten sein.
Ariel ging Hurme und den anderen Finnen aus dem Weg. Manchmal zog er sich auch von Marga und den anderen zurück und hing im Sterlings und anderen Plattenläden herum und hörte sich die neuen Platten der Beatles und der Doors oder von Pink Floyd und den Kinks an. Sein Lieblingsalbum war jedoch Are you experienced? , er war wie besessen von Hendrix, hörte die Platte fast täglich und konnte sich eines Tages nicht mehr zurückhalten: Erst stahl er die Scheibe im
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