Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
Vom Netzwerk:
zehn Kilometer landeinwärts fuhr, es war in den Düften und vor allem im Licht, in dem steten Sonnenschein, der ihre ganze Fahrt beleuchtete: Das Licht war fast weiß, nicht so scharf und kreideweiß wie die Sonnenstrahlen über den südlichen Teilen von Helsingfors an einem schönen Frühlingstag, aber fast.
    Als sie an der Kirche des Weilers När vorbei nach Südosten fuhren, stand die Sonne schon tief, und das Licht bekam einen satten Ton. Das gelbe Holzhaus lag hinter einer Mauer an der Straße, und mitten in der Mauer gab es ein Tor. Neben dem Kiesweg, der zum Haus führte, das hinter einem Apfelbaum und verblühten Fliedersträuchern lag, stand eine halb verrostete graue Gartenschaukel. Ariel ließ sich sofort auf sie fallen und wühlte in der Brusttasche seiner Jeansjacke: Heraus kam die kleine Maiskolbenpfeife, die fast im gleichen Farbton gehalten war wie das Haus, und heraus kam ein noch kleineres Stanniolpäckchen, das er unverzüglich auseinander wickelte. »Hast du sie nicht mehr alle, du verdammter Idiot!«, fauchte Hurme ihn an und stürzte zu ihm. »Weg mit dem Scheiß! Hier wird erst wieder Haschisch geraucht, wenn die Fahrt vorbei und der Job erledigt ist!«
    Hullu-Hurme blieb den ganzen Abend über gereizt. Wahrscheinlich machte ihn die Verzögerung nervös, denn er benahm sich nicht wie sonst. Hurme konnte freundlich, sogar charmant sein, war jedoch für seine plötzlichen und vollkommen irrationalen Wutanfälle bekannt, die aus heiterem Himmel kamen und unabsehbare Folgen haben konnten. Man erzählte sich, dass Hurme nur ein paar Wochen nach seiner Ankunft in Stockholm fast einen Penner totgeprügelt hatte. Der Ringer hatte ihn beauftragt, das menschliche Wrack einzuschüchtern – der Mann war nicht nur ein Trinker, sondern auch ein Denunziant –, aber in seinem Eifer, dem neuen Arbeitgeber seine Fähigkeiten zu demonstrieren, hatte ein lächelnder Hurme sein Opfer fast erschlagen. Man hatte schon erwogen, an den Fußknöcheln des bewusstlosen Mannes Gewichte zu befestigen und ihn ins Wasser zu werfen, ihn dann aber doch in einen Wagen verfrachtet und vor der Notaufnahme des Krankenhauses Sabbatsberg abgeworfen, so war die Geschichte jedenfalls Ariel zu Ohren gekommen.
    Jetzt war Hurme alles andere als charmant, sondern nur gereizt. Und es war Ariel, der ihm ein Dorn im Auge war, das zeigte er deutlich. Auch Leuka Mononen kippte sich zügig Schnaps hinter die Binde und begann genau wie Hurme, mit immer schmaleren und streitlüsternen Augen Ariel und Virta anzustieren, je länger die Nacht dauerte. Sie saßen zu viert in dem kleinen Wohnzimmer, im ganzen Haus war die Luft stickig und abgestanden, und immer öfter tauchten die Schimpfwörter vittu und perkele und saatana in Hurmes und Leukas Vokabular auf, und irgendwann lehnte sich der sanftmütige Virta zu Ariel vor und sagte leise: »Weißt du was, Wahl, wir lassen die zwei da mal ein bisschen in Ruhe. Wir gehen in den Garten, trinken was und rauchen eine Kippe, dann gibt es auch keinen Ärger.« Er zog eine ungeöffnete kleine Flasche Schnaps aus der Innentasche seines schmutzigen Jacketts und sagte: »Schau mal, ich hab noch eine volle. Und du willst doch bestimmt ein bisschen an deiner Kicherpfeife ziehen.«
    Als sie sich draußen in die rissige Paarschaukel gesetzt hatten, als Ariel seine Maiskolbenpfeife angezündet hatte und sie sich in der Schaukel gegenübersaßen, als Ariel einen Zug nahm und den Rauch tief in die Lunge einsog und dort behielt und mit dem Fuß den Takt auf dem Boden der Schaukel stampfte und all the leaves are brown and the sky is grey sang, obwohl es Sommer und der Nachthimmel sternenklar war, kam der Moment, in dem Virta ihn nachdenklich betrachtete. Er sagte: »Ariel Wahl.« Virta ließ den Namen auf seiner Zunge förmlich zergehen und fuhr dann fort: »Ich kannte mal einen Wahl in Stockholm. Er wurde Lennu genannt. Der hinkende Lennu. Lennart Wahl. Musiker. Wenn ich mich recht erinnere, ein wirklich guter.«
    Ariel war vom Rausch benebelt. Trotzdem horchte er auf, und sein Herz begann wild zu pochen.
    »Das war mein V-Vater«, sagte er heiser.
    Virta wirkte ernst, nickte kurz, nahm einen Schluck aus der Schnapsflasche und hielt sie Ariel hin, der den Kopf schüttelte. Virta schraubte die Flasche zu, und das kratzende, metallische Geräusch durchschnitt die Stille.
    »Ich hab mir schon fast gedacht, dass es so sein könnte«, meinte Virta. »Lennu hat immer davon geredet, dass er in Finnland einen kleinen Jungen

Weitere Kostenlose Bücher