Geheimauftrag: Liebe
verdeckten und Regen die Sicht beeinträchtigte, war der Blick von dort oben großartig, auf eine fast unheimliche Weise faszinierend. Eine Erinnerung daran, welch unbedeutende Rolle der Mensch in den Plänen der Natur im Grunde genommen spielte.
Lautlos bewegte er sich, seine Füße nahmen den Weg fast automatisch, denn unzählige Male war er ihn schon gegangen.
An der offenen Bogentür, die zu der Galerie führte, blieb er stehen. Penny war bereits dort.
Sie saß auf einer Bank aus Stein, die an der Mauer am anderen Ende stand, einen Ellenbogen auf die Brüstung gestützt, das Kinn in der Hand und schaute in den Regen.
Es gab nur wenig Licht, und nur mit Mühe konnte er das blasse Oval ihres Gesichts ausmachen, den Schimmer ihres hellen Haares, die langen, eleganten Linien ihres blauen Kleides, den dunkleren Schatten ihres vorne verknoteten Umhangs. Der Regen erreichte sie nicht.
Sie hatte ihn nicht gehört.
Er zögerte, erinnerte sich an andere Tage und Nächte, die sie hier verbracht hatten, nicht immer, aber oft genug allein – nur sie beide, von dem Ausblick gefangen. Ihm fiel ein, dass sie Zeit wollte, um nachdenken zu können.
Da wandte sie den Kopf und schaute ihn geradewegs an.
Er rührte sich nicht, doch Penny wusste, dass er dort stand. Mit den Augen vermochte sie zwar nur einen Schatten in der Finsternis auszumachen, doch sie spürte seinen Blick.
Als er reglos stehen blieb und sie sein Zögern bemerkte, blickte sie weiter in die nasse Nacht. »Ich habe mich noch nicht entschieden, also frag nicht.«
Sie glaubte ein leichtes Seufzen zu vernehmen.
»Ich dachte nicht, dass du hier wärest.«
Nein, wie sollte er auch. Er konnte nur davon ausgehen, dass sie sich in ihrem Schlafzimmer aufhielt. Sie antwortete nicht, blieb ruhig sitzen, denn noch war er zu weit entfernt, um sie mit seiner Nähe zu beunruhigen. Aber sie wusste, weshalb er hier war – aus ganz ähnlichen Gründen nämlich wie sie.
Sie versuchte, seinen nächsten Schritt zu erahnen, doch er reagierte anders als erwartet.
»Du warst nicht wirklich überrascht, dass ich Spion war. Warum?«
Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich erinnere mich daran, wie du zur Beerdigung deines Vaters heimkamst. Deine Mutter war … nicht nur froh, dich zu sehen, sondern dankbar. Ich nehme an, ich habe mich in diesem Moment
schon zu wundern begonnen. Und sie verfiel dauernd ins Französische, wenn sie mit dir sprach, viel mehr als sonst. Und du hast so ein Geheimnis aus allem gemacht, über dein Regiment, über den Ort deiner Einquartierung, über die Schlachten. Normalerweise hättest du tausend Geschichten erzählt. Stattdessen hast du es vermieden, von dir zu sprechen. Andere haben das deiner Trauer zugeschrieben.« Sie machte eine Pause, bevor sie zögernd fortfuhr: »Ich nicht. Wenn du deinen Kummer hättest verbergen wollen, dann würdest du nur umso mehr geredet und lauter gelacht haben.«
Schweigen breitete sich aus, doch schließlich erkundigte er sich: »Also auf Grundlage dieses einen Erlebnisses …«
Sie lachte. »Nein. Ich will damit sagen, dass ich deshalb meine Augen offenhielt, als du das nächste Mal heimgekehrt bist.«
»Fredericks Beerdigung.«
»Ja.« Die Erinnerung färbte ihren Tonfall. Fredericks Tod war für die gesamte Grafschaft ein Schock gewesen. »Du kamst spät, gerade in dem Moment, als der Vikar mit der Messe beginnen wollte. Die Kirchentür stand offen wegen der vielen Trauergäste. Deine Ankunft verriet zunächst nur dein Schatten. Die Sonnenstrahlen fielen schräg in die Kirche, beinahe bis zum Sarg. Wir alle haben uns umgedreht, und da standest du, die Sonne im Rücken, eine groß gewachsene, dramatisch aussehende Gestalt in einem langen, dunklen Umhang.«
Er räusperte sich. »Wie romantisch.«
»Nein, seltsamerweise hast du überhaupt nicht romantisch gewirkt.« Sie sah zu ihm. Er stand verborgen in den Schatten des Torbogens, lehnte gegen den einen Pfeiler und schaute in die Ferne. Sie konnte sein Profil erkennen, seine Miene jedoch nicht. Sie blickte hinaus in die Dunkelheit. »Du warst … intensiv. Beinahe beängstigend. Du hattest für niemanden sonst
Augen als für deine Familie. Du bist zu ihnen gegangen, direkt den Mittelgang hinunter, und deine Stiefel haben bei jedem Schritt auf dem Steinboden gehallt.«
Sie machte eine Pause, erinnerte sich wieder. »Du warst es nicht, sondern sie, ihre Reaktionen, die meinen Verdacht bestätigten. Deine Mutter und James hatten dich nicht
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