Geheimbünde: Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand (German Edition)
Vortrag über rosenkreuzerisches Heilen sachlich «Anweisungen zu therapeutischem Atmen und ausreichend Flüssigkeitszufuhr» gegeben, bevores dann etwas kryptisch heißt: «Die Rosenkreuzermethode der Heilung ist immer eine geistige. Die seelisch-geistige Seite wird entkrampft, geklärt und gereinigt und so in ihre ursprüngliche Harmonie zurückgebracht. Und sie ist zusätzlicher Art. Dies sollte stets beachtet werden.» Kein Wunder, dass A.M.O.R.C. bereits treffend als «kommerzieller Dienstleister zur Lebensbewältigungshilfe» bezeichnet wurde.
Eine weitaus intensivere Beziehung zwischen Organisation und Mitglied besteht im «Lectorium Rosicrucianum». Im Unterschied zum A.M.O.R.C. verbreitet das LR ein geschlossenes Weltbild. Es wird ein harter Gegensatz zwischen «wir hier drinnen» und «die da draußen» aufgebaut, der erhebliche Skrupel und Ängste erzeugt, das LR wieder zu verlassen, wie ehemalige Mitglieder berichten.
Das LR will ihre Mitglieder weltanschaulich festigen. Darum kümmern sich allein in Deutschland 45 Zentren um die ca. 4500 Mitglieder. Weltweit sollen es ca. 16 000 sein. Die Rosenkreuzer-Doktrin des LR beinhaltet, dass der Mensch nur durch ein kosmisches Unglück auf die Erde gekommen sei. Eigentliche Heimat des Menschen sei jedoch ein kosmisches Lichtreich. Das LR glaubt sich im Besitz einer Geheimlehre, die dem Menschen hilft, das kosmische Unglück zu revidieren. Dazu müsse ein «Geistfunkenatom» aktiviert werden, das im Innern des Menschen schlummere, aber immer mehr abstirbt, je länger sich ein Mensch im Diesseits glücklich fühlt. Das LR will das irdische Ich zerbrechen, um mittels «Transfiguration» die göttliche Persönlichkeit zu befreien. Weil diese Transfiguration angeblich buchstäblich bis ins Mark geht, also sogar körperliche Veränderungen hervorruft und auch psychisch erhebliche Anforderungen stellt, wird den Mitgliedern nach ihrem Eintritt ein enges Netz aus kollektiven Zusammenkünften übergeworfen: Tempeldienste, Zirkelzusammenkünfte und Konferenzen gehen einher mit einer alle Bereiche des LR umfassenden Verpflichtung zur absoluten Geheimhaltung. Die Anforderungen an den Lebenswandel sind hoch: kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Drogen, kein Fleisch. Bis 1996 gilt sogar Fernsehverbot. Austritt aus Parteien und religiösen Vereinigungen wirdvorausgesetzt. Auch sexuelle Askese sieht man für den Ausbruch aus dem Kreis irdischer Reinkarnationen als notwendig an. Intensives Studieren von LR-Texten sowie tägliche und wöchentliche Rituale werden ebenfalls abgefordert. Das LR verfügt über eine ausgeklügelte Hierarchie. Der dreistufigen «äußeren Schule» folgt die «innere Schule». Danach tritt man in die «priesterliche Schar» der «Ekklesia» ein. An deren Spitze steht «die Gemeinschaft des Goldenen Hauptes». Im Gegensatz zum grundsätzlich lebensbejahenden A.M.O.R.C. ist die Weltsicht des LR radikal negativ. Wer nicht die Kraft hat, den wahren Charakter der Welt mit Hilfe des LR zu erkennen, ist verloren. Das LR glaubt, den Menschen von seiner «Todesnatur» erlösen zu können, damit er in einem Lichtreich aufgehen kann. Auf dem Weg dorthin erlangt der Mensch allmählich die Kraft, die Welt als das zu sehen, was sie ist: ein Ort der Verdammnis.
Im Laufe ihrer 400-jährigen Geschichte ist die Idee des Rosenkreuzertums mehrmals jäh aufgeblüht und genauso schnell wieder verwelkt. Dem Samen, aus dem die Blüten entstehen, scheint Kraft innezuwohnen, auch nach längeren Dürrephasen neue Triebe bilden zu können. Jeder Trieb hat sein spezielles Lehrgebäude errichtet. Eines aber eint sie: Sie glauben, eine Weisheit vermitteln zu können, die einen Weg in ein besseres Leben aufzeigt – wenngleich sich die meisten Rosenkreuzer heute nicht anmaßen, den Weg zu kennen, und auch keine Erfolgsgarantie geben, das Ziel des Weges erreichen zu können.
Dennoch: Wer in die Blättchen der Rosenkreuzerbünde schaut oder einen Blick auf ihre Homepages wirft, der kann mitunter den Eindruck spiritueller Maßlosigkeit bekommen: Innere Zufriedenheit ist erreichbar, wenn man nur weit genug in den Symbolkosmos der Rosenkreuzer hineinreist. Ein Blick in die «Chymische Hochzeit» zeigt, dass man das unter Berufung auf diese zentrale Schrift der Rosenkreuzer auch kritisch sehen kann. Denn als Rosencreutz zum Ritter des Goldenen Steins wird, ergänzt er seinen Namen unter der Ernennungsurkunde mit einem lateinischen Sinnspruch. Er lautet: «Summa scientia nihil
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