Geheimcode F
die Kleine umzustimmen. Bei der Liedzeile »Nichts kann verschwinden auf dieser Welt...« begann Aurelia dann doch zu weinen. Die Mutter runzelte besorgt die Stirn. Das gefiel ihr gar nicht. Es war höchste Zeit, etwas zu unternehmen.
»Monsieur!« Der Diener reichte ihr das Telefon. Seit dem Vortag hatte sie versucht, Monsieur, ihren Mann und Aurelias Vater, zu erreichen.
»Ja, ich weiß, du bist im Busch, John! Aber es ist wichtig, etwas Schreckliches ist geschehen. Die beiden Hunde sind weg, ja, gestohlen. Wir müssen sie doch wiederfinden, und ich dachte...« Am anderen Ende der Leitung herrschte für eine Sekunde Sendepause, dann hatte sich Monsieur wieder gefaßt.
»Für beide Hunde eine Belohnung von 10 000 Dollar? Nicht mehr?« Doch dann nickte Yvette. Sie hatte begriffen. Johns Überlegungen waren wie so oft wieder einmal richtig. »Du hast recht, jeder wird denken, weil es wertvolle Windhunde sind, keiner wird auf das wirkliche Geheimnis kommen... D’accord !«
Gerard saß im Stall auf einem alten Melkschemel und spielte Flöte. Opa und Tobias waren so fasziniert von der Tatsache, daß hier ein erwachsener Mann einem Schwein zum Frühstück ein Ständchen brachte, daß sie eine ganze Weile wie angewurzelt an der Stalltür stehenblieben und lauschten. Am Ende des Liedes war das Schwein eingeschlafen. Es fiel um wie ein nasser Sandsack. Und blieb liegen.
»Guten Tag, Monsieur.« Opa verbeugte sich, vermutlich, weil die ganze Szene etwas Theatralisch-Unwirkliches hatte. Sonst war dieses schnörkelige Getue ja gar nicht seine Art.
»Aurora Musis Amica . Die Morgenstunde ist den Musen günstig«, zitierte Gerard irgendeinen Lateiner, was Tobias kalte Schauer über den Rücken jagte, weil er Latein auf den Tod nicht ausstehen konnte. Dann musterte Gerard die beiden näher, erkannte den von ihm gefundenen Mantel, den Opa demonstrativ über den Arm gelegt hatte und vor sich hertrug. »Oh, er gehört ihnen... freut mich aber... hab ihn heute morgen gefunden... fessle durch Taten die jagende Zeit...« Tobias und Opa wechselten einen vieldeutigen Blick. Der war doch nicht ganz dicht...
»In der Tat, der gehört mir. Es hatte nur seinen Sinn, daß er dort draußen lag, wissen Sie!« brummte Opa. »Sie suchen nach einem Sinn? Welchen Sinn hat es, einen Mantel nachts draußen liegen zu lassen, Monsieur?«
Tobias schaltete sich ein: »Wir haben unseren Hund verloren, verstehen Sie? Und nun dachten wir, wenn da draußen etwas ist, das nach Opa riecht, dann bleibt er dort, bis wir wiederkommen!«
»Einen Hund, sagst du?« Gerard runzelte die Stirn. »So groß, ziemlich schmutzig, blonder Mischling?«
»Als er weglief, war er sauber«, murrte Opa.
»Ja, den haben wir heute morgen getroffen. Ich übte gerade Trüffelsuchen mit meiner Marie-Antoinette. Der Hund bellte meine Freundin an. Ich habe ihr geflüstert, laß ihn bellen, singen kann er nicht. Sie ist ja so sensibel, besonders wenn sie schnüffelt... Glauben Sie denn, daß der Mantel ihn wirklich locken könnte?«
»Jeder schnüffelt sein Stückchen Heimat.«
»Er lebt, Opa, hast du gehört? Tarzan ist doch ein zäher Bursche, den haut nichts so leicht um. Wir müssen ihn suchen, Opa, komm!« Tobias hatte jetzt genug vom Philosophieren. Er wollte seinen Hund wiederhaben. Also fragte er sehr interessiert: »Sie sagten, das Schwein riecht Trüffel?«
»Nicht nur Trüffel, einfach alles.«
»Mann, ich brauche Ihre Marie-Antoinette!«
»Hast du gehört, mein Liebchen? Der Weg ist das Ziel. Wer einen guten Tag haben will, muß ihn sich machen. Für Francs suchst du Trüffel.« Gerard tätschelte das Schwein, »...und für D-Mark große Hunde!« ergänzte Opa treffend.
Anastasias kleines Haus lag hinter duftenden Ginsterhecken und Bäumen versteckt, ein richtiges kleines Knusperhäuschen, statt mit Lebkuchen aus Steinen erbaut. Der Weg dorthin führte ebenfalls wie durchs Märchen: Man mußte die Weinberge und ein kleines Birkenwäldchen durchqueren, dann ging man die Anhöhe hinauf. Françoise liebte diesen Weg, besonders, wenn sie ihn hoch zu Roß zurücklegen konnte, wie an diesem Morgen. Die Luft war warm, aber noch morgenfrisch, und überall duftete es nach Blüten und Kräutern. Alles Glück dieser Erde lag tatsächlich in diesem Ausritt zur liebsten aller Anastasias dieser Welt. Françoise schwang sich aus dem Sattel. Mit ein paar Schritten war sie an der Haustür. Sie klopfte im vereinbarten Rhythmus, der auch gleich von innen beantwortet wurde.
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