Geheimcode F
paßte. Die meisten Tänzer warfen bei den ersten Takten Flamenco schon das Handtuch. Auch Alain zog sich von der Tanzfläche zurück, nur Carmen und Rica blieben und lieferten sich ein Duell, das sich sehen lassen konnte. Carmen hatte bei dieser Art Musik allerdings einen unfairen Heimvorteil. Rica würde den kürzeren ziehen, in jeder Hinsicht. Auch wenn das anfeuernde, rhythmische Klatschen der Zuschauer sie immer mehr aufpeitschte. Mitten im Takt stürzte sie von der Tanzfläche und rannte in ihr Zimmer zurück. Diese Schlacht war verloren. Gut. Sie hatte ohnehin schon längst etwas anderes vor, sobald die anderen schlafen gegangen wären...
»Seht, kleine Marie-Antoinette, ich bin’s nur!« Rica flüsterte dem Schwein beruhigend zu. »Wir hauen ab, wir zwei, es ist nicht mehr lustig hier!« Dann zog sie dem Schwein zwei Paar bunte Socken über die Hufe. Marie-Antoinette ließ sich alles widerstandslos gefallen. Zufrieden musterte Rica ihren Schützling. Sehr gut. So waren die verräterischen Hufe ordentlich verpackt und vor allem schallgedämpft. Prima. »Zu fressen gibt’s genug«, erklärte sie dem Tier dann. »Ich habe in der Küche noch mal nachgefaßt . War noch jede Menge Köstliches da! Schau!« Das Schwein grunzte freundlich. Rica legte ihm Halsband und Leine um. Sie warf einen letzten Blick auf das Landhaus Duffy und dachte an seine schlafenden Bewohner, die ihr so lieb und vertraut geworden waren. Adieu Alain. Ein paar Tränen stiegen hoch. Nein, jeder mußte tun, was er tun mußte. Rica seufzte und ließ sich von Marie-Antoinette auf die dunkle Landstraße hinausziehen.
*
»Marie-Antoinette«, schallte es durch das leere Gemäuer. Opa war der Verzweiflung nahe. Er war extra früh aufgestanden, damit das arme Schwein beim Aufwachen ein bekanntes Gesicht vor Augen hatte. Nur war das bittere Erwachen jetzt an ihm! Sein Alptraum war wieder einmal wahr geworden: Einer seiner Pfleglinge hatte sich auf und davon gemacht. Zuerst der Hund, dann der Enkel, jetzt das Schwein. »Das auch noch! Dieses dumme Vieh! Geht einfach stiften...«
Die Empörung über so viel Untreue war seiner Stimme deutlich anzumerken. Sauerei! Und erst die Schwierigkeiten, die jetzt nachkamen! Alles noch einmal von vorne. Nur wußte er nicht, was er diesmal als Köder auslegen sollte, denn Marie-Antoinette stand sicher nicht auf seinen Körpergeruch, sondern auf den ihres Herrn und Meisters Gerard. Und der weilte am blauen Mittelmeer, plauderte mit seinen Studenten und dachte gar nicht daran, den Lehrstuhl in absehbarer Zeit wieder mit dem Hocker hier im Stall zu vertauschen... Aber Opa war ja selber schuld, viel zu weich, viel zu gutmütig, um im richtigen Moment auch »nein« sagen zu können. Er raufte sich die etwas schüttere Haarpracht. Gut, was nun? Wo könnte sie sich versteckt haben, wohin verlaufen? In seiner Not lief er wieder hinaus auf den Hof. Er drehte sich im Kreis herum und rief: »Das Schwein ist weg! Das Schwein ist weg!« Langsam kam Leben in die Bude. Da kam auch schon Dora angelaufen. Opa wunderte sich: »So früh unterwegs, Schwiegertochter?« Dora wirkte gehetzt, eine Haarsträhne hing in ihre Augen, und sie sah aus, als ob sie gerade einen Dauerlauf gemacht hätte. »Morgen, Opa«, grüßte sie atemlos. »Weißt du, wer verschwunden ist?« Opa war verblüfft. Seit wann kümmerte sich Dora um seine Angelegenheiten? Aber schön war es schon, so viel Mitgefühl... »Ich weiß, das Schwein!« sagte er seufzend.
Dora blickte ihn verständnislos an. »Das Schwein? Wie redest du von Rica?« Opas Überraschung war nicht gespielt: »Das gibt’s doch gar nicht! Rica ist auch verschwunden?«
»Ja! Sie ist weg. Ohne irgendeine Nachricht.« Dora schüttelte den Kopf. »Dann sind sie beide weg«, stellte Opa fest. »Verstehst du das?«
»Nein.« Dora konnte sich zwar einiges zusammenreimen, aber einen wirklichen Grund, sich bei Nacht und Nebel davonzuschleichen, sah sie nicht. »Kümmern wir uns um Rica, die ist ja wohl wichtiger als dein albernes Schwein!« Wo eine Rica, da auch ein Schwein, kombinierte Opa in Gedanken. Langsam verstand er den Zusammenhang zwischen Schweineverschwinden und der Flucht seiner Enkeltochter. Daß das Mädel ihre Verantwortung so ernst genommen hatte! Schließlich hatte er ihr das Tier anvertraut, aber... alle Achtung! Das zeugte von einer Menge Rückgrat. War doch schwer in Ordnung, seine Rica. Sicher hatte sie einen guten Grund für ihr Verhalten. Und man sollte nichts dazutun, um
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