Geheimcode Makaze
Summers linker Arm war frei. Sofort griff sie in die Tasche ihrer Seidenjacke und holte die Nagelfeile mit dem Porzellangriff heraus.
»Ich habe die Feile. Soll ich mir die Handschelle oder den Ring vornehmen?«, fragte sie.
»Nimm den Ring. Er ist zwar dicker, lässt sich aber wahrscheinlich leichter durchfeilen als die Handschellen. Die sind nämlich aus gehärtetem Edelstahl.«
Summer setzte die kleine Feile wie eine Eisensäge an und raspelte am Fuß des Ringes herum. Im trüben Wasser und bei zusehends schwindendem Licht auch nur halbwegs genau zu arbeiten, wäre für die meisten Menschen ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, aber Summer hatte aufgrund ihrer zahllosen Tauchgänge viel Erfahrung damit. Durch jahrelanges Erkunden und Bergen alter Schiffswracks unter schlechten Sichtverhältnissen hatte sie ihren Tastsinn so geschärft, dass sie manchmal mit den Händen eher erkennen konnte, womit sie es zu tun hatte, als mit den Augen.
Sie schöpfte neue Hoffnung, als sie spürte, dass die Feile ziemlich mühelos durch die äußere Rostschicht drang. Doch ihre Zuversicht schwand, als sie auf das harte Eisen stieß und nur noch im Schneckentempo vorankam. Das Wasser reichte auch ihr mittlerweile bis zur Brust, die Zeit drängte also, aber der Druck unter dem sie stand, verlieh ihr frische Kräfte. Ein ums andere Mal zog Summer die Feile vor und zurück, so schnell es unter Wasser ging, und arbeitete sich Millimeter um Millimeter vor. Zwischendurch legte sie kurze Pausen ein, schlang beide Hände um den Eisenring, zog daran und drückte dagegen, um das Metall zu ermüden. Immer weiter sägte sie, bis der Ring endlich nachgab und sie sich befreien konnte.
»Ich hab’s geschafft«, rief sie triumphierend.
»Was dagegen, wenn ich mir die Feile ausborge?«, fragte Dirk, aber Summer war bereits zu ihm geschwommen und nahm sich den Ring vor, an den seine rechte Hand gekettet war. Ihrer Schätzung nach hatte es etwa eine halbe Stunde gedauert, bis sie den ersten Ring durchgefeilt hatte, und mittlerweile stand das Wasser fast auf Schulterhöhe. Es stieg schneller, als sie erwartet hatte. Wenn es so weiterging, war Dirks Kopf in knapp einer Stunde unter Wasser. Obwohl ihr sämtliche Finger wehtaten, raspelte sie wie wild an dem Eisen herum.
Dirk, der geduldig wartete, während Summer feilte, fing an, die alte, aus dem Jahr 1880 stammende Melodie von »While Strolling Through the Park One Day« zu pfeifen.
»Das bringt gar nichts«, japste Summer, dann lächelte sie. »Jetzt hab ich ständig dieses alberne Lied im Ohr.«
Zwar hörte er auf zu pfeifen, aber die Melodie ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass es ein ausgezeichneter Song zum Sägen war, und stimmte ihn dann an wie ein Mantra, das ihr den Takt vorgab.
While strolling through the park one day, …
Bei jeder Silbe zog sie die Feile einmal über das Eisen und fand dadurch zu einem schwungvollen Sägerhythmus.
… in the merry merry month of May.
I was taken by surprise by a pair of roguish eyes.
In a moment my poor heart was stole away.
Das Wasser war mittlerweile bis über ihr Kinn gestiegen, sodass sie kurz Luft schnappen und dann tauchen musste, um die Feile an der gleichen Stelle anzusetzen. Dirk konnte sein Gesicht allmählich nur mehr mit Mühe über Wasser halten, während er den Ring hin und her zog, den Summer unermüdlich bearbeitete. Schließlich ertönte unter ihnen ein dumpfer metallischer Ton, als der Ring unter ihrem vereinten Druck nachgab.
»Drei hätten wir, bleibt noch einer«, japste Summer und holte tief Luft, nachdem sie mehrere Sekunden lang getaucht war.
»Gönn dir eine Verschnaufpause«, sagte Dirk und nahm ihr die Feile ab. Jetzt, da seine rechte Hand frei war, konnte er leichter atmen, aber um an den Ring zu kommen, musste er untertauchen. Er holte tief Luft, ging mit dem Kopf unter Wasser und begann so schnell wie möglich an dem Eisenring zu feilen, der seine linke Hand festhielt. Nach dreißig Sekunden reckte er den Kopf aus dem Wasser, holte Luft und tauchte wieder unter. Summer streckte ihre verkrampften Finger, schwamm links neben Dirk und wartete, bis er wieder nach oben kam. Wie ein Catcherpaar, das mit vereinten Kräften versucht, Hulk Hogan zu bezwingen, reichten sie einander abwechselnd die Feile, tauchten unter und attackierten wild entschlossen den Eisenring.
Doch von Minute zu Minute stieg das Wasser in der Kaverne immer höher. Jedes Mal, wenn Dirk auftauchte und
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