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Geheime Macht

Geheime Macht

Titel: Geheime Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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war nicht der Typ, der zum Sterben neigte. Atlanta würde mich respektieren. Das Rudel wusste mich zu schätzen. Und Raphael … er würde es eines Tages bereuen, mich ersetzt zu haben, weil ich ihm beweisen würde, dass ich die viel bessere Wahl war.

Kapitel 6
    Ich wachte wieder im Schrank auf.
    Angewidert strampelte ich mich von der Decke frei. Ich hatte davon geträumt, verprügelt zu werden. Die Erinnerung an den Traum schwirrte immer noch recht lebhaft vor mir herum. Es war mein elfter Geburtstag, und die älteren Boudas hatten mich in einen alten Laden für Landwirtschaftsbedarf gejagt. Ich hatte mich in einem Metalltrog versteckt, den man früher für die Fütterung von Schweinen verwendet hatte. Sie hatten mich gefunden, Kerosin in den Trog geschüttet und mich angezündet.
    Ich erinnerte mich an den Geruch meines brennenden Haars.
    Ich zog die Knie an die Brust. Mein Traum war nicht nur ein Albtraum, sondern eine tatsächliche Erinnerung. Ich hatte mich jahrelang bemüht, sie zu verdrängen, aber der Stress und die Gespräche mit Ascanio schienen sie wieder aus dem Unterbewusstsein heraufgeholt zu haben. Ich beugte mich vor und berührte die Schrankwand, um mich davon zu überzeugen, dass der Traum vorbei war. Die glatte Lackschicht fühlte sich kalt unter meinen Fingern an. Wenn ich mich schon so oft hier aufhielt, sollte ich vielleicht ganz einziehen. Eine Toilette einbauen, ein Waschbecken, mir ein Nest einrichten …
    Draußen begann der neue Tag. Es wurde Zeit zum Aufstehen. Ich musste mich anziehen und Anapas Büro einen Besuch abstatten. In menschlicher Gestalt. Wenigstens war die Magiewelle vorbei. Wenn man mich zu sehr ärgerte, konnte ich mir den Weg freischießen.
    Ich verließ den Schrank. Vor dem Fenster, jenseits der Gitterstäbe, verstopften dicke graue Wolken den Himmel und versprachen baldigen Regen. Vor diesem blassen Hintergrund kauerten die zerbrochenen Hüllen einstmals hoher Gebäude, dunkel und schief, überzogen mit grüner Vegetation, die sich hartnäckig bemühte, ihren Beitrag zum Zerfall der Stadt zu leisten. An den Rändern des Geschäftsviertelfriedhofs entstanden neue Bauten, gedrungene Häuser aus Holz und Stein, nicht höher als vier Stockwerke und von geschickten Maurern errichtet. Von Menschenhand, ohne Maschinen.
    In der Ferne heulten Polizeisirenen. Der Beginn eines neuen aufregenden Tages im Atlanta der Nachwende.
    Ich stand vor dem Badezimmerspiegel. Die Frau, die mich ansah, wirkte stärker als am Vortag. Gemeiner, durchtriebener. Zu viele Ecken und Kanten für die meisten Sachen in meiner Garderobe. Normalerweise trug ich Jeans, Khakis, grauweiße Hemden. Gepflegte professionelle Kleidung, die Vertrauen stiften und Leuten, die den Orden um Hilfestellung baten, ein sicheres Gefühl vermitteln sollte. Das Motto war selbstbewusst, ohne bedrohlich zu wirken.
    Ich hatte genug davon, nicht bedrohlich zu wirken. Es musste irgendetwas in meinem Schrank geben, das zu meinem neuen Ich passte.
    *
    Input Enterprises hatte eine Adresse im Südosten an der Phoenix Street. Obwohl die Häuserblocks der Nachbarschaft in Trümmern lagen, war diese Straße frei von Schutt und Müll, und nagelneue Häuser reihten sich an beiden Seiten auf wie Soldaten auf einer Parade. In diesem Bauprojekt musste eine Menge Geld stecken, weil man die Häuser geschmackvoll mit Gesimsen und dekorativen Kragsteinen verschönert hatte. Selbst die Gitter vor den Erkerfenstern waren stilvoll verschnörkelt. Dieses Neubaugebiet gab sich alle Mühe, zu einem angesehenen Geschäftsviertel zu werden.
    Ich stellte den Jeep auf einem kleinen Parkplatz ab und lief weiter, während ich die Hausnummern abzählte. Der bedeckte Himmel rang sich schließlich dazu durch, sich über mich zu ergießen. Das Regenwasser machte den Asphalt dunkel. Es war gut, dass ich einen Hut trug.
    Als ich die richtige Nummer gefunden hatte, stand ich nicht vor einem Haus, sondern vor einem Torbogen mit einem Schild, auf dem INPUT ENTERPRISES stand. Ein Pfeil zeigte auf den Bogeneingang. Gut.
    Ich ging durch den langen, schmalen Tunnel und gelangte auf einen weiten Platz. Ein großer Innenhof breitete sich vor mir aus, eingefasst von Mauern aus sandfarbenem Stein. Die Vegetation beschränkte sich auf rechteckige Blumenbeete, die auf beiden Seiten auf das Gebäude im Hintergrund zuliefen. Es war drei Stockwerke hoch, aber diese Stockwerke waren überdimensioniert, sodass sich das Ganze bis in gefährliche Höhen erhob. Noch einen Meter mehr,

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