Geheime Macht
zurückgeben, aber wenn wir mit ihnen fertig sind, werden sie nicht mehr in der Lage sein, irgendjemandem das Leben zu nehmen. Du musst stark bleiben, Nick. Du musst für deinen Sohn stark sein. Er hat immer noch einen Vater, einen zähen, erbitterten Vater, der ihn liebt, der für ihn da sein wird.«
Allmählich ließ das Zittern nach. Nick zog sich von mir zurück, als wäre ihm plötzlich bewusst geworden, dass er geweint hatte. Er hob den Kindersitz auf. Baby Rory gähnte.
»Du wirst es mir sagen, wenn du mehr weißt?«, fragte Nick.
»Das werde ich.«
Er ging hinaus. Ich sackte auf dem Stuhl zusammen.
Ascanio kam herüber und setzte sich auf den Schreibtisch. »Mann, das war heftig.«
»Das ist die andere Hälfte dieses Jobs«, sagte ich. »Man ist für die Opfer der Verbrechen verantwortlich, die man aufzuklären versucht. Man übernimmt Verantwortung. Die Leute vertrauen mir, und sie erwarten, dass ich für Gerechtigkeit sorge. Du darfst nie vergessen, dass es hier um Menschen geht. Es geht um Verlust und Leid.«
»Das ist verdammt hart.«
»Herzlichen Glückwunsch – du machst große Fortschritte.«
Er runzelte die Stirn. »Aber ich dachte, dass man eine gewisse Distanz braucht. Damit es nicht zu persönlich wird.«
Ich seufzte. »Man darf es nicht zu nahe an sich heranlassen, weil man sich weiter auf die Arbeit konzentrieren muss. Man braucht etwas Distanz, um objektiv zu bleiben. Aber es ist persönlich. Es ist immer persönlich. Man kann einfach nicht vergessen, dass Menschen an der Sache beteiligt sind. Gleichzeitig muss man darauf achten, dass das Urteilsvermögen nicht durch das Mitleid für die Geschädigten beeinträchtigt wird, weil es nicht nur um Nicks Rache geht, sondern um viel wichtigere Dinge.«
Ascanio musterte mich aufmerksam. »Was könnte wichtiger als Rache sein?«
»Dafür sorgen, dass die Täter es nie wieder tun werden. Die Leute, die Rianna und die anderen Gestaltwandler töteten, haben gegen das heiligste aller Gesetze verstoßen – sie haben gemordet. Wenn sie es einmal getan haben, werden sie es wahrscheinlich wieder tun. Zuallererst müssen wir sie daran hindern, weitere Menschenleben zu zerstören.«
Ascanio dachte darüber nach. »Nick sieht das nicht so.«
»Nick muss es nicht so sehen. Es ist unser Job, dafür zu sorgen, nicht seiner.«
»Ich glaube, er wollte, dass du ihm sagst, dass du die Mörder finden und den Fall aufklären wirst.«
»Ja.«
»Und warum hast du es nicht getan?«
»Weil ich nichts versprechen will, was ich vielleicht nicht halten kann. Jetzt verschwinde von meinem Schreibtisch und bring mir Doolittles Bericht.«
Kapitel 7
Der Bericht des Doktors bestätigte, was ich bereits wusste: Die vier Gestaltwandler, einschließlich Nicks Frau, waren an Schlangengift gestorben. Ich hatte vier unterschiedliche Bissspuren an den Leichen gesehen, und Doolittle hatte eine weitere gefunden. Also waren es insgesamt fünf Giftzahnpaare und damit fünf Angreifer, sofern der Killer keine Hydra war. Oder eine Gorgone. Nicht, dass jemand schon einmal eine Gorgone gesehen hätte, aber man konnte schließlich nie wissen, welche lustigen Gräuel sich die Magie als Nächstes einfallen ließ.
Die Schlangen waren eine Vipernart, wahrscheinlich eine Otter, und nach Doolittles fundierter Ansicht entsprach die größte Bissspur einem Kopf von der Größe einer Kokosnuss. Das Gift war für Menschen in geringer Dosis tödlich und für Gestaltwandler in etwas größerer Menge. Neben dem offiziellen Bericht enthielt der Umschlag einen Zettel, auf dem stand: »Wenn du es findest, ruf mich sofort an. Vermeide jede Konfrontation mit der Schlange.«
Ich würde mich auf keine Konfrontation einlassen. Ich würde sofort schießen. Mehrmals.
Jim hatte die Fingerabdrücke, die ich an der Tür zum Tresorraum gefunden hatte, mit seiner Datenbank abgeglichen. Sie gehörten zu acht Personen, und sieben davon waren Mitarbeiter von Raphael. Die achte Person war ein Mysterium. Die Abdrücke waren in keiner Datenbank enthalten.
Bei der Spurenanalyse sah es auch nicht besser aus. Keine rauchenden Pistolen.
Ich blätterte die Akten durch. Raphaels Team war ein enger Verband, allesamt aus dem Bouda-Clan. Miteinander verwandte Männer und Frauen mit Familie, was bedeutete, dass sie zusammenhielten. Sie trafen sich auch in ihrer Freizeit, gingen zu denselben Grillpartys und passten gegenseitig auf ihre Kinder auf. Raphael war sehr wählerisch bei der Auswahl seiner Mitarbeiter, und er
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