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Geheime Macht

Geheime Macht

Titel: Geheime Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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setzte mich auf den zweiten Stuhl neben Nick.
    Er fuhr sich mit der Hand durch das hellbraune Haar. »Das ist mein Sohn«, sagte er.
    »Er ist hübsch.«
    »Möchtest du ihn mal halten?«
    »Darf ich?«
    Nick nahm das Baby und legte es mir in die Arme. Der kleine Rory blickte mich aus dunkelgrauen Augen an, gleichzeitig verwirrt und fasziniert, mit leicht geöffnetem Mund. Sein Haar war nicht mehr als ein pfirsichgelber Flaum, sodass er fast kahlköpfig wirkte. Seine Wimpern waren in einem fröhlichen sonnigen Blond gefärbt.
    So winzig. So ein zerbrechliches kleines Leben.
    »Hallo, du«, flüsterte ich.
    Baby Rory sah mich an, und ich konnte keine Furcht in seinen Augen erkennen. Keine Traurigkeit, keine Verbitterung, keine Abgestumpftheit. Die Welt war ein wunderbares großes Spielzeug, und Baby Rory hatte keine Ahnung, wie sehr sie ihm bereits wehgetan hatte. Ich wollte ihn umarmen und machen, dass alles gut war. Ich wollte ihm seine Mutter wiedergeben.
    »Er ist wunderschön«, sagte ich zu Nick.
    »Genauso wie seine Mutter«, sagte er. »Er kann noch nicht einmal sprechen. Er wird sich nie an sie erinnern.«
    Baby Rory gurrte, und ich drückte ihn behutsam an mich. Wie erklärte man einem Baby, dass seine Mutter gestorben war? Wie konnte man ihm auch nur ansatzweise den Grund verständlich machen?
    Nick griff in seine Jacke, zog seine Brieftasche heraus und reichte mir ein Foto. Darauf war eine lächelnde Frau zu sehen. Ihr Haar war eine Masse aus zimtbraunen Locken rund um das Gesicht. Ein hübsches Mädchen mit Sommersprossen auf der Nase. Ich hatte gelesen, dass sie sechsundzwanzig war, nur zwei Jahre jünger als ich. Sie hatte es nicht gewusst, aber Rianna Moreau hatte meinen Traum gelebt. Sie hatte einen Ehemann, der sie bedingungslos liebte. Sie hatte einen guten Job, der sie erfüllte. Sie hatte Baby Rory. Sie waren eine Familie und hatten eine strahlende Zukunft, bis irgendein Arschloch kam und ihnen alles wegnahm.
    Nicks Augen wurden feucht. Er ballte eine Hand zur Faust. »Er wird niemals wissen, wie gut sie war. Er wird wissen, dass sie ihn geliebt hat, weil ich es ihm sagen werde, aber er wird diese Liebe niemals spüren. Mein Sohn ist kaum auf der Welt, und sein Leben ist bereits zerbrochen.«
    Ich wünschte, ich könnte etwas sagen, aber mir fiel nichts ein, womit ich seinen Verlust etwas erträglicher hätte machen können.
    Baby Rory brabbelte vor sich hin, ohne etwas vom Kummer seines Vaters zu ahnen.
    »Ich werde meine Frau nie wiedersehen«, sagte Nick mit stockender Stimme. Er lehnte sich zurück. »Ich möchte, dass du es verstehst. Du sollst wissen, was sie mir weggenommen haben. Für mich war sie alles. Inzwischen ist es mir nicht mehr möglich, ihren Namen auszusprechen.«
    Ich beugte mich vor und legte meine Hand auf seine geballte Faust.
    »Raphael sagte, dass du die Beste bist. Er sagte, du wirst sie finden.« Nicks Blick suchte in meinem Gesicht.
    Ich suchte immer noch verzweifelt nach den richtigen Worten …
    »Du bist Zimmermann«, sagte ich schließlich. »Du baust schöne Dinge, weil es deine Berufung ist. Die Ermittlungsarbeit ist meine Berufung. Ich lebe sie mit jedem Atemzug. Ich wurde darin ausgebildet, und ich bin verdammt gut darin. Deine Frau ist nicht nur ein Name im Bericht, Nick. Du und dein Sohn seid nicht nur irgendeine bedeutungslose Statistik. Rianna ist real, genauso wie ihr beiden. Ich weiß, was ihr hattet, und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man es verloren hat. Ich verstehe.«
    Ich sah den Sekundenbruchteil, in dem Nick zusammenbrach: Etwas in seinen Augen erlosch, seine Mundwinkel erschlafften, und er weinte. Ich legte Rory zurück auf den Autokindersitz und schloss Nick in die Arme. Er zitterte, aber es war kein Schluchzen, sondern ein Zucken, als würde sein Schmerz in kurzen Stößen ausbrechen.
    »Ich kann dir nicht versprechen, dass ich Erfolg habe«, sagte ich, während ich ihm auf den Rücken klopfte. »Aber ich verspreche dir, dass ich nicht aufhören werde weiterzusuchen. Ich werde niemals aufhören. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit dir und deinem Sohn Gerechtigkeit widerfährt.«
    Aus dem Hintergrund starrte Ascanio uns mit einem wahnsinnigen Blick an.
    Nick schüttelte sich steif, und seine Stimme war ein tiefes, kehliges Knurren, als er seine nächsten Worte hervorstieß. »Tu es für sie …«
    »Ich verspreche dir, dass sie leiden werden, wenn ich sie finde«, sagte ich zu ihm. »Ich kann dir deine Frau nicht

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