Geheime Macht
eingeschlafen.
Wenn ich von der rechten Bahn abkam, machte ich keine halben Sachen. Nein, ich nahm kräftig Anlauf und raste einfach drauflos.
Schließlich erreichte ich mein Haus, stieg die Treppe hinauf und starrte auf meine Wohnungstür. Meine Schlüssel befanden sich im Rucksack, den ich abgelegt hatte, bevor wir in der Ruine gegen das Monster gekämpft hatten. Die Gitter vor meinen Fenstern waren mit einem Metallrahmen verschweißt, der in die Wand eingemauert war. Ich konnte sie wahrscheinlich verbiegen, wenn ich mich anstrengte und meine Hände mit irgendetwas umwickelte, da die Stäbe Silber enthielten, aber dann würde ich auch einen Teil der Wand herausreißen. Wie zum Teufel sollte ich in meine Wohnung kommen, ohne die Tür aufzubrechen?
Ich hörte Schritte von unten. Wenig später kam Mrs Haffey die Treppe herauf. Sie trug etwas, das in ein Küchenhandtuch eingewickelt war.
Perfekt!
Mrs Haffey sah meinen pelzigen Hintern und blieb stehen. Wir starrten uns eine ganze Weile nur an, sie in einem rosafarbenen Morgenmantel und ich eins achtzig groß, behaart, voller Blut und übel riechend wie ein nasser Hund, der sich in einer Kloake gewälzt hatte.
Schrei nicht. Bitte schrei nicht.
Mrs Haffey räusperte sich. »Andrea? Sind Sie das?«
»Ja, Ma’am. Guten Morgen.«
»Guten Morgen. Hier, ich habe gestern Abend einen Karottenkuchen für Sie gebacken.« Sie hielt mir das Ding hin.
Ich nahm ihn entgegen und schnupperte mit gerümpfter schwarzer Nase daran. »Danke. Er riecht wunderbar.«
»Ich wollte Ihnen nur danken, weil Sie Darren geholfen haben. Wir sind schon sehr lange zusammen. Ich weiß einfach nicht, was ich ohne ihn machen würde.« Sie kam näher und umarmte mich.
Oh, Gott, was soll ich nur tun?
Ich erwiderte die Umarmung so behutsam wie möglich und mit nur einem Arm.
»Passen Sie gut auf sich auf«, sagte Mrs Haffey, lächelte und entfernte sich wieder.
Sie hatte meinen pelzigen, stinkenden, blutbesudelten Körper berührt und sogar umarmt. Sie hatte keine Ahnung, aber ich würde sofort wieder in den Keller rennen und gegen hundert Käfer kämpfen, nur weil sie nicht geschrien hatte, als sie mich sah.
Ich musste in meine Wohnung und wieder meine menschliche Gestalt annehmen, und zwar ganz schnell. Bevor irgendwelche anderen Nachbarn beschlossen, die Polizei zu rufen, weil ein Monster versuchte, in die Wohnung von »diesem netten Texas-Mädel« einzubrechen.
Ich legte die Hand an den Türknauf. Er ließ sich drehen, aber mein Gehirn konnte diese Tatsache nicht richtig verarbeiten. Ich warf mich einfach mit der Schulter dagegen. Die Tür flog mit einem lauten Knall auf, und ich purzelte in die Wohnung. Ich sprang sofort wieder auf und ging in die Hocke.
Es roch nach Raphael. Wenn er noch hier war, musste er mich gehört haben.
Ich stieß die Tür mit dem Fuß zu, knurrte, damit er wusste, dass ich es ernst meinte, und machte mich dann auf die Suche.
Mit einem schnellen Blick vergewisserte ich mich, dass mein Wohnzimmer frei von Raphael war. Auch im Schlafzimmer und im Wandschrank war niemand. Ich sah mich in allen Räumen um, bis ich die Küche erreichte und innehielt. Mein Rucksack aus Nylonnetz lag mitten auf meinem Küchentisch, komplett mit meinem Kleid und den Schuhen. Das Tischtuch fehlte, und die Tischplatte war mit langen Kratzern überzogen. Sie sahen verdächtig nach Buchstaben aus.
Ich stieg auf einen Stuhl und betrachtete die Angelegenheit von oben.
DU GEHÖRST MIR .
Oh, großartig! Fantastisch! Wie erwachsen! Vielleicht würde er als Nächstes an meinen Zöpfen ziehen oder eine Reißzwecke auf meinen Stuhl kleben.
Ich stieß gegen den Tisch. Wofür hielt er sich, dass er einfach in meine Wohnung einbrach und meine Möbel demolierte? So etwas hatte ich nie mit ihm gemacht. Ich hatte nie irgendwelche Sachen von ihm kaputt gemacht.
Ich ging unter die Dusche und schrubbte mich sauber.
Ich meine, was sollte ich eigentlich von dieser Botschaft halten? Eben noch reibt er mir irgendeine andere Frau unter die Nase, und im nächsten Moment beschließt er, dass wir wieder zusammen sind, und kann gar nicht verstehen, warum ich nicht mitmachen will. Ein altes Lied tauchte aus meinem Gedächtnis auf. Love Is All You Need. Vielleicht war Liebe alles, was man brauchte, aber im wirklichen Leben war Liebe nur selten alles, was man bekam. Raphael und ich gaben uns außerdem Stolz und Schuldgefühle, Zorn, Eifersucht und Verletzungen, und das alles war in einem Gordischen Knoten
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