Geheime Melodie
hageren Körper auf dem Stuhl nach hinten sinken. »Konzessionen. Feige Konzessionen, immer wieder neue, die ganze Nacht. ›Warum geben Sie diesen Freibeutern nach?‹ frage ich sie. ›Warum sagen Sie ihnen nicht, sie sollen sich zum Teufel scheren?‹«
Und wen hatte er gefragt? Doch ich hielt mich zur ück. Ein falscher Schritt, und sein Redefluß würde versiegen.
»Jaspen, sagen sie zu mir. ›Wir können es uns nicht leisten, diesen lebenswichtigen Vertrag platzen zu lassen. Die Zeit ist kostbar. Wir sind nicht das einzige Pferd am Start.‹«
»Dann setzen Sie also den Vertrag auf«, rief ich. Jetzt wußte ich es wieder: Maxie hatte als Sinn und Zweck des ganzen Unternehmens einen Vertrag genannt.
»Meine Güte. Da haben Sie aber eine ziemliche Verantwortung. Das ist ja bestimmt eine hochkomplizierte Sache, oder?«
Ich hatte ihm mit meiner Frage schmeicheln wollen, aber ich erntete nur einen ver ächtlichen Blick.
»Der Vertrag ist nicht kompliziert, denn er ist von mir in verständlicher Sprache aufgesetzt worden. Ein Proforma-Vertrag, der nicht einklagbar ist.«
»Wie viele Parteien sind daran beteiligt?«
»Drei. Wir wissen nicht, wer sie sind, aber sie wissen es. Der Vertrag nennt die Vertragsparteien nicht und beinhaltet unspezifizierte hypothetische Eventualitäten. Wenn etwas eintritt, zieht es vielleicht etwas anderes nach sich. Wenn nicht …« Noch so ein gallisches Schulterzucken.
Vorsichtig machte ich mich daran, ihn aus der Reserve zu locken.
»Aber wenn ein Vertrag anonym ist und die hypothetischen Eventualitäten nicht spezifiziert sind und der Vertrag sowieso nicht einklagbar ist, wie kann es dann überhaupt ein Vertrag sein?«
Ein s üffisantes Lächeln überzog sein Totenkopfgesicht.
»Weil dieser Vertrag nicht nur hypothetisch ist, sondern auch landwirtschaftlich.«
»Hypothetisch landwirtschaftlich?«
Das L ächeln bestätigte mir, daß dem so war.
»Wie soll das gehen? Ein Vertrag kann doch wohl nur landwirtschaftlich oder hypothetisch sein. So etwas wie eine hypothetische Kuh gibt es nicht – oder etwa doch?«
Monsieur Jasper dr ückte den Rücken durch, legte die Hände flach auf die grüne Tischbespannung und bedachte mich mit dem verächtlich düsteren Blick, den Anwälte für ihre minderbegüterten Mandanten auf Lager haben.
»Dann beantworten Sie mir folgende Frage«, sagte er. »Wenn ein Vertrag Menschen betrifft – sich aber namentlich nicht auf Menschen bezieht, sondern auf Kühe –, ist dieser Vertrag dann hypothetisch oder landwirtschaftlich!«
Wo er recht hatte, hatte er recht. »Und über was für eine Hypothese reden wir – im vorliegenden Fall zum Beispiel?«
»Die Hypothese ist ein Ereignis.«
»Was für ein Ereignis?«
»Ein unspezifiziertes. Vielleicht ein Todesfall.« Er reckte den knochigen Zeigefinger, um mich vor einer übereilten Schlußfolgerung zu warnen. »Vielleicht ist es aber auch ein Hochwasser oder eine Eheschließung, höhere oder menschliche Gewalt. Vielleicht ist es die Einhaltung beziehungsweise Nichteinhaltung einer Vertragsbedingung durch eine andere Partei. Das wird nicht näher ausgeführt.« Er hatte das Wort, und er würde es sich von niemandem mehr nehmen lassen, schon gar nicht von mir. »Bekannt ist, daß bei Eintritt dieses unspezifizierten Ereignisses bestimmte landwirtschaftliche Bestimmungen und Bedingungen in Kraft treten, daß bestimmte landwirtschaftliche Güter ge- und verkauft, bestimmte landwirtschaftliche Rechte übertragen und bestimmte hypothetische Anteile an bestimmten landwirtschaftlichen Erträgen an unge nannt bleibende Personen flie ßen werden. Aber nur in dem Fall, daß dieser Fall eintritt.«
»Aber wie ist dieses anonyme Syndikat bloß auf Sie gekommen?« hakte ich nach. »Wenn ich mir das vorstelle, Sie mit Ihrem unendlichen Fachwissen, ganz bescheiden in Besançon, wie ein Veilchen im Moose …«
Mehr Ermunterung brauchte er nicht. »Vor einem Jahr habe ich etliche Verträge für Timeshare-Ferienhäuser in Valence ausgehandelt. Ich habe mich selbst übertroffen, der Abschluß war die Krönung meiner bisherigen Karriere. Die Häuser wurden dann nicht gebaut, doch dafür konnte ich nicht haftbar gemacht werden. Meine Mandantin war eine ausländische Immobiliengesellschaft, inzwischen insolvent, mit Sitz auf den Kanalinseln.«
Es kam über mich wie eine Erleuchtung. Timeshare-Ferienhäuser in Valence. War das nicht der Skandal, der Lord Brinkley auf die Titelseiten von Penelopes Zeitung
Weitere Kostenlose Bücher