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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Porträt des Künstlers als junger Mann. Ich erkannte das Buch an seinem Rücken, obwohl ich eigentlich gar nicht mehr hinzusehen brauchte, denn es hatte Hannah in seinen Bann geschlagen, seit die beiden Schwestern eingetroffen waren.
    Emmeline stand mitten im Zimmer vor einem Standspiegel, den sie sich aus einem der Schlafzimmer geholt
hatte. Sie hielt sich ein Kleid aus rosafarbenem Taft mit Rüschen an, das ich bisher noch nicht gesehen hatte. Noch ein Geschenk ihrer Großmutter, vermutete ich, gekauft in der bitteren Überzeugung, dass bei dem derzeitigen Mangel an heiratsfähigen jungen Männern nur noch die Attraktivsten eine Chance hatten.
    Die letzten Strahlen der Wintersonne fielen durch die Terrassentüren, vergoldeten Emmelines lange Locken und malten blasse Vierecke auf den Boden vor ihren Füßen. Emmeline, die für solche Feinheiten kein Gespür besaß, wiegte sich hin und her, sodass das Taftkleid leise raschelte, und summte sehnsuchtsvoll die Melodie mit, die aus dem Grammofon krächzte. Nachdem der letzte Ton mit dem letzten Sonnenlicht verklungen war, drehte die Platte sich knisternd weiter. Emmeline warf das Kleid auf den leeren Sessel, tänzelte zu dem Apparat hinüber und hob den Tonarm, um ihn wieder an den Anfang der Platte zu setzen.
    Hannah blickte von ihrem Buch auf. Ihre langen Locken hatte sie – zusammen mit allen anderen Spuren ihrer Kindheit – in London zurückgelassen und trug ihr Haar jetzt zu einem Bubikopf gestutzt. »Nicht schon wieder, Emmeline«, sagte sie stirnrunzelnd. »Leg mal was anderes auf. Egal was.«
    »Aber das ist mein Lieblingsstück.«
    »Für diese Woche«, schnaubte Hannah.
    Emmeline setzte ein Schmollgesicht auf. »Was glaubst du wohl, was der arme Stephen dazu sagen würde, wenn er wüsste, dass du seine Platte nicht hören willst? Er hat sie uns geschenkt. Du könntest dich wenigstens daran erfreuen.«
    »Wir haben uns genug daran erfreut«, erwiderte Hannah. Dann bemerkte sie mich. »Findest du nicht auch, Grace?«

    Ich knickste und spürte, wie ich errötete, unsicher, was ich sagen sollte. Um mich vor einer Antwort zu drücken, zündete ich umständlich die Gaslampe an.
    »Wenn ich einen Bewunderer wie Stephen Hardcastle hätte«, sagte Emmeline verträumt, »dann würde ich mir seine Schallplatten hundertmal am Tag anhören.«
    »Stephen Hardcastle ist kein Bewunderer«, entgegnete Hannah angewidert. »Den kennen wir schon ewig. Er ist ein alter Freund. Er ist Lady Clems Patensohn.«
    »Patensohn oder nicht, ich glaube kaum, dass er während seines Fronturlaubs täglich nach Kensington Place gekommen ist, bloß weil er ein makabres Vergnügen daran findet, sich von Lady Clem von ihren Krankheiten berichten zu lassen. Oder?«
    »Woher soll ich das wissen?«, sagte Hannah gereizt. »Die beiden stehen sich jedenfalls sehr nahe.«
    »Ach, Hannah«, sagte Emmeline. »Du liest so viel, und trotzdem kannst du manchmal so begriffsstutzig sein. Selbst Fanny hat es gemerkt.« Sie drehte an der Kurbel des Grammofons und senkte den Tonabnehmer, und die Platte drehte sich erneut. Als das sentimentale Gedudel wieder einsetzte, drehte Emmeline sich um und sagte: »Stephen hat die ganze Zeit gehofft, du würdest ihm ein Versprechen geben.«
    Hannah knickte die Ecke der Seite um, die sie gerade las, und strich die Faltlinie mit dem Fingernagel glatt.
    »Du weißt schon«, sagte Emmeline aufgeregt. »Das Versprechen, ihn zu heiraten.«
    Ich hielt den Atem an. Ich hörte zum ersten Mal davon, dass Hannah einen Heiratsantrag erhalten hatte.
    »Ich bin doch nicht blöd«, erwiderte Hannah, den Blick immer noch auf das Dreieck unter ihrem Fingernagel geheftet. »Ich weiß genau, was er wollte.«
    »Und warum hast du ihm dann nicht …«

    »Ich wollte ihm kein Versprechen geben, das ich nicht halten kann«, sagte Hannah hastig.
    »Herrje, du kannst eine solche Trantüte sein. Was hätte es denn geschadet, über seine Witze zu lachen, sich von ihm alberne Nettigkeiten ins Ohr flüstern zu lassen? Du hast uns doch immer Vorträge darüber gehalten, wir sollten die Soldaten im Feld unterstützen. Wenn du nicht so stur gewesen wärst, hättest du ihm eine schöne Erinnerung mitgeben können, als er wieder an die Front musste.«
    Hannah steckte ein besticktes Lesezeichen zwischen die Seiten und legte ihr Buch neben sich auf die Chaiselongue. »Und was hätte ich dann getan, wenn er zurückgekommen wäre? Ihm erklärt, ich hätte das alles nicht ernst gemeint?«
    Einen Augenblick

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