Geheime Spiel
angeboten, die Modeseiten zu gestalten, wie hätte sie da widerstehen können? Eine ganze neue Stadt voller Damen, die sie in Modefragen beraten und beeinflussen konnte. Sie würde bei Hannah und Teddy wohnen, bis sie eine passende Wohnung gefunden hatte. Schließlich, so meinte Estella, bestehe kein Grund zur Eile. Nummer siebzehn sei ein großes Haus mit zahlreichen Zimmern, die kaum genutzt würden. Vor allem, solange noch keine Kinder da waren.
Im November jenes Jahres kam Emmeline nach London, um dort ihren sechzehnten Geburtstag zu feiern. Es war ihr erster Besuch seit der Hochzeit von Hannah und Teddy, und Hannah hatte sich sehr darauf gefreut. Sie wartete den ganzen Vormittag im Salon, eilte jedes Mal ans Fenster, wenn ein Automobil vor dem Haus das Tempo verlangsamte, nur um nach einem falschen Alarm wieder enttäuscht aufs Sofa zu sinken.
Am Ende war sie so niedergeschlagen, dass sie Emmelines Ankunft erst mitbekam, als Boyle an die Tür klopfte und sie ankündigte.
»Miss Emmeline ist eingetroffen, Ma’am.«
Mit einem Freudenschrei sprang Hannah auf, als Boyle Emmeline in den Salon führte. »Endlich!«, rief sie und fiel ihrer Schwester um den Hals. »Ich dachte schon, du würdest nie ankommen.« Sie trat einen Schritt zurück und sagte zu mir gewandt: »Schau doch nur, Grace, sieht sie nicht fantastisch aus?«
Emmeline lächelte unwillkürlich, zog dann aber sofort wieder ihren Schmollmund. Trotz ihrer beleidigten Miene, oder vielleicht gerade deswegen, war sie schön. Sie war größer und schlanker geworden, und ihr Gesicht hatte eine kantigere Form angenommen, die ihre vollen Lippen und ihre großen runden Augen betonte. Und sie hatte den Ausdruck trägen Hochmuts erlernt, der so typisch war für ihr Alter und für diese Ära.
»Komm, setz dich«, sagte Hannah, während sie Emmeline zum Sofa führte. »Ich lasse uns Tee servieren.«
Emmeline ließ sich in die Ecke des Sofas sinken und glättete ihren Rock, als Hannah sich abwandte. Sie trug ein einfaches Kleid der vorjährigen Saison. Zwar hatte sich offenbar jemand Mühe gegeben, es zu ändern, um es der neuen, lockerer sitzenden Mode anzupassen, aber es wies immer noch die untrüglichen Anzeichen seines ursprünglichen Schnitts auf. Nachdem Hannah dem Dienstmädchen geläutet hatte, hörte Emmeline auf, an ihrem Kleid herumzuzupfen und ließ ihren Blick mit betontem Desinteresse durchs Zimmer wandern.
Hannah lachte. »Oh, das ist der allerneueste Schrei. Elsie de Wolfe hat die Einrichtung ausgesucht. Scheußlich, nicht wahr?«
Emmeline hob die Brauen und nickte langsam.
Hannah setzte sich neben sie. »Es ist so schön, dass du da bist«, sagte sie. »Wir können alles tun, was du willst, eine ganze Woche lang. Tee und Walnusstorte bei Gunter’s, wir können auch ins Varieté gehen.«
Emmeline zuckte die Achseln, aber ich sah, dass ihre Finger wieder mit ihrem Rock beschäftigt waren.
»Wir könnten in ein Museum gehen«, fuhr Hannah fort. »Oder einen Abstecher zu Selfridge’s machen …« Sie zögerte, als Emmeline halbherzig nickte. Hannah lachte verunsichert. »Hör mich bloß an«, sagte sie. »Da bist du gerade erst angekommen, und schon verplane ich die ganze Woche. Ich habe dich kaum zu Wort kommen lassen und dich noch nicht mal gefragt, wie es dir geht.«
Emmeline schaute Hannah an. »Schönes Kleid«, sagte sie schließlich, dann presste sie die Lippen zusammen, als hätte sie einen Entschluss gefasst.
Jetzt war es Hannah, die die Achseln zuckte. »Gott, ich hab einen ganzen Kleiderschrank voll davon«, sagte sie. »Teddy bringt mir jedes Mal eins mit, wenn er von einer Reise zurückkommt. Er glaubt, ein neues Kleid könnte mich dafür entschädigen, dass ich nicht mitfahren kann. Warum sollte eine Frau auch reisen, außer, um sich neue Kleider zu kaufen? Und jetzt hab ich den Kleiderschrank voll und gar keine Gelegenheit, die Sachen …« Sie unterbrach sich bestürzt und unterdrückte ein Lächeln. »Viel mehr Kleider, als ich anziehen kann.« Beiläufig musterte sie ihre Schwester. »Hättest du Lust, sie dir mal anzusehen? Vielleicht ist ja etwas dabei, was dir gefällt. Du würdest mir einen Gefallen tun, mir helfen, ein bisschen Platz in meinem Schrank zu schaffen.«
Emmeline blickte auf, und es gelang ihr nicht, ihre Erregung zu verbergen. »Keine schlechte Idee. Wenn ich dir damit eine Freude machen könnte.«
Hannah überließ Emmeline zehn Kleider aus Paris, und ich erhielt den Auftrag, die Kleider, die sie
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