Geheime Spiel
miteinander verbringt! « Sie legte den Kopf schief und fügte leise hinzu: »Und von dieser anderen unglücklichen Angelegenheit braucht er ja nie etwas zu erfahren!«
Der Sturz ins Kaninchenloch
I ch werde nicht auf Sylvia warten. Ich werde mir selbst eine Tasse Tee besorgen. Aus den Lautsprecherboxen auf der behelfsmäßigen Bühne dröhnt laute, blecherne Musik, und sechs junge Mädchen haben angefangen, dazu zu tanzen. Sie tragen schwarz-rot gemusterte Lycra-Trikots – kaum mehr als Badeanzüge – und schwarze Stiefel, die ihnen bis über die Knie reichen. Ich frage mich, wie sie auf so hohen Absätzen tanzen können, doch dann muss ich an die Tänzerinnen aus meiner Jugendzeit denken. An das Hammersmith Palladion, an die Original Dixieland Jazz Band, an Emmeline, die den Charleston tanzte.
Ich klammere mich mit einer Hand an die Armlehne, beuge mich so weit vor, dass mein Ellbogen sich mir in die Rippen bohrt, und drücke mich aus dem Sessel. Einen Augenblick lang verharre ich, dann verlagere ich mein Gewicht auf meinen Gehstock und warte, bis sich nicht mehr alles vor meinen Augen dreht. Verflixte Hitze. Ich stochere vorsichtig mit dem Gehstock im Boden. Nach all dem Regen in letzter Zeit ist er ganz aufgeweicht, und ich fürchte stecken zu bleiben. Sorgfältig trete ich in die Fußstapfen anderer Leute. So komme ich zwar nur langsam vorwärts, aber ich fühle mich einfach sicherer …
»Hier wird Ihnen Ihre Zukunft vorausgesagt! Lassen Sie sich Ihre Zukunft aus der Hand lesen!«
Ich kann Wahrsager nicht ausstehen. Eine Wahrsagerin hat mir einmal erklärt, ich hätte eine kurze Lebenslinie, und dann bin ich diese düstere Vorahnung nicht mehr losgeworden, bis ich Ende sechzig war.
Ohne hinzusehen gehe ich weiter. Meine Zukunft macht mir keine Sorgen. Es ist die Vergangenheit, die mir den Schlaf raubt.
Anfang 1921 suchte Hannah die Wahrsagerin auf. Es war ein Mittwochmorgen, der Tag, an dem sie jede Woche ein Damenkränzchen zum Frühstück einlud. Deborah war mit Lady Lucy Duff-Gordon im Savoy Grill verabredet, und Teddy und sein Vater waren im Büro. Teddy hatte seinen Weltschmerz inzwischen überwunden und wirkte wie jemand, der aus einem seltsamen Traum erwacht ist und erleichtert feststellt, dass er immer noch derselbe ist. Eines Abends beim Abendessen hatte er Hannah erzählt, er sei ganz überrascht darüber, wie viele Möglichkeiten das Bankgeschäft einem Mann eröffne. Es biete nicht nur die Chance, seinen Wohlstand zu mehren, hatte er hastig hinzugefügt, sondern vor allem, sich auf dem Gebiet seiner kulturellen Interessen zu bereichern. Schon bald, versprach er ihr, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen sei, würde er seinen Vater um die Erlaubnis bitten, eine Stiftung für junge Künstler einzurichten. Das sei eine gute Idee, sagte Hannah und konzentrierte sich wieder auf ihr Abendessen, während er sich über einen neuen Kunden ausließ, einen reichen Fabrikanten. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass sich zwischen Teddys guten Absichten und seinen Taten eine tiefe Kluft auftat.
Eine kleine Schar modisch gekleideter junger Damen hatte gerade das Haus verlassen, als ich begann,
den Tisch abzuräumen. (Vor Kurzem hatte unser fünftes Dienstmädchen gekündigt, und es war noch kein Ersatz in Sicht.) Nur Hannah, Fanny und Lady Clementine saßen noch in ihren Sesseln und nippten an ihrem Tee. Hannah klopfte gedankenverloren mit ihrem Löffel gegen die Untertasse. Offenbar konnte sie es nicht erwarten, dass die beiden sich endlich verabschiedeten, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, warum.
»Wirklich, meine Liebe«, sagte Lady Clementine, während sie Hannah über ihren Tassenrand hinweg beäugte. »Du solltest allmählich anfangen, dir über Nachwuchs Gedanken zu machen.« Sie tauschte einen kurzen Blick mit Fanny aus, die stolz ihren dicken Bauch zur Schau trug. Sie erwartete gerade ihr zweites Kind. »Kinder tun einer Ehe gut. Nicht wahr, Fanny?«
Fanny nickte, konnte jedoch nicht antworten, weil sie den Mund voll hatte.
»Wenn eine Frau zu lange verheiratet ist und keine Kinder bekommt«, fuhr Lady Clementine säuerlich fort, »fangen die Leute an zu reden.«
»Du hast bestimmt recht«, sagte Hannah. »Aber da gibt’s nichts zu bereden.« Sie sagte das so unbekümmert, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Wer sie nicht kannte, wäre nie darauf gekommen, dass es sich um ein äußerst heikles Thema handelte. Dass es bittere Auseinandersetzungen in der Familie gab,
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