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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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ich mich isoliert. Und obwohl ich mich davor hütete, Alfreds Aufmerksamkeiten falsch zu deuten (das hatte ich schließlich schon einmal getan), sehnte ich mich nach ihm.
    Dennoch folgte ich Hannah an jenem Nachmittag. Ich war erst am frühen Abend mit Alfred verabredet, und wenn ich mich beeilte, konnte ich mich davon überzeugen, dass sie das Studio der Wahrsagerin wohlbehalten wieder verließ. Ich hatte so viele unheimliche Geschichten über Spiritisten gehört, dass ich davon überzeugt war, das Richtige zu tun. Mrs Tibbit hatte von einer Kusine berichtet, die besessen war, und Mr Boyle wusste von einem Mann, dessen Frau man erst geschoren hatte, um ihr anschließend die Kehle durchzuschneiden.
    Und auch wenn ich mir nicht so ganz sicher war, was ich von den Spiritisten halten sollte, so wusste ich nur
zu gut, welche Sorte Menschen ihren Rat suchten. Nur jemand, der in der Gegenwart unglücklich ist, sucht sein Glück in der Zukunft.
     
    Draußen herrschte dichter Nebel. Wie ein Detektiv folgte ich Hannah die Aldwych Street entlang, stets darauf bedacht, nicht zu weit hinter ihr zu bleiben und sie im Nebel zu verlieren. An der Ecke spielte ein Mann in einem Trenchcoat auf einer Mundharmonika: »Keep the Home Fires Burning«. Sie waren überall, diese heimatlosen Soldaten, in jeder Gasse, unter jeder Brücke, vor jedem Bahnhof. Hannah nahm sich kurz Zeit, eine Münze aus ihrer Handtasche zu kramen und sie in den Becher des Musikanten zu werfen.
    In der Kean Street blieb sie vor einer alten Villa stehen. Das Haus wirkte ziemlich vornehm, aber, wie meine Mutter zu sagen pflegte, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ich sah, wie Hannah einen Blick auf ihren Zeitungsausschnitt warf, um sich zu vergewissern, dass es sich um die richtige Adresse handelte, und dann den Klingelknopf drückte. Die Tür wurde geöffnet, und ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand sie in dem Haus.
    Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus schaute ich an dem Haus hoch und fragte mich, in welches Stockwerk Hannah wohl geführt wurde. Etwas an dem Lampenschein, der an den zugezogenen Vorhängen gelbliche Ränder erzeugte, sagte mir, dass es das dritte sein musste. Ich setzte mich neben einen Mann, der kleine, aufziehbare Blechaffen verkaufte, und wartete.
    Ich wartete über eine Stunde. Als Hannah schließlich wieder aus dem Haus trat, waren meine Beine steif gefroren, und ich konnte nicht schnell genug aufspringen. Ich duckte mich und hoffte inständig, dass sie mich nicht
sehen würde. Aber sie hatte gar keine Augen für ihre Umgebung. Wie benommen stand sie auf der Stufe vor der Tür. Ihr Gesicht hatte einen leicht verblüfften Ausdruck, und sie schien wie versteinert. Zuerst dachte ich, die Spiritistin hätte sie, wie ich es auf Fotos gesehen hatte, mit einer Taschenuhr hypnotisiert. Meine Füße schmerzten wie von tausend Nadelstichen, und ich konnte einfach nicht zu ihr hinüberlaufen. Als ich gerade nach ihr rufen wollte, holte sie tief Luft, schüttelte sich und machte sich mit schnellen Schritten auf den Heimweg.
    Ich kam ein bisschen zu spät zu meiner Verabredung mit Alfred. Nicht viel, aber genug, um ihn besorgt dreinblicken zu lassen, ehe er mich sah, und gekränkt, als er mich erblickte.
    »Grace.« Verlegen begrüßten wir einander. Gleichzeitig streckten wir eine Hand aus, stießen mit den Handgelenken aneinander, und er ergriff aus Versehen meinen Ellbogen. Ich lächelte nervös und schob meine Hand unter meinen Schal. »Bitte entschuldige, dass ich so spät komme, Alfred«, sagte ich. »Ich musste für die Mistress noch eine Besorgung machen.«
    »Weiß sie denn nicht, dass du heute deinen freien Nachmittag hast?«, fragte er. Er war größer, als ich ihn in Erinnerung hatte, und sein Gesicht zerfurchter, trotzdem gefiel er mir.
    »Doch, aber …«
    »Du hättest ihr sagen sollen, wo sie sich ihre Besorgung hinstecken kann.«
    Sein verächtlicher Ton wunderte mich nicht. Alfred war seiner Arbeit als Dienstbote zunehmend überdrüssig. Die Briefe, die er mir aus Riverton schrieb, zeigten mir etwas, was mir vorher nicht bewusst gewesen war: ein unzufriedener Unterton durchzog die Beschreibungen seines Alltags. Und in letzter Zeit erkundigte er sich
immer häufiger nach dem Leben in London und zitierte immer wieder aus Büchern, die er neuerdings las, Bücher über die Arbeiterklasse und über Gewerkschaften.
    »Du bist schließlich keine Sklavin«, sagte er. »Du hättest es ablehnen sollen.«
    »Ich weiß. Ich

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