Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
Vom Netzwerk:
mein Bett auf dem Sofa herzurichten. Ich breitete das Laken und die Decke aus, die meine Tante mir zurechtgelegt hatte, doch als ich das Kissen meiner Mutter aufschütteln wollte, war es nicht da. Meine Tante beobachtete mich.

    »Falls du das Kissen suchst«, sagte sie, »ich hab es weggeworfen. Es war schmutzig, völlig verschlissen. An einer Stelle ein Riesenloch. Dabei war sie Näherin!« Sie schüttelte den Kopf. »Möchte wissen, was sie mit dem Geld gemacht hat, das ich ihr geschickt hab.«
    Dann ging sie. Legte sich neben dem Zimmer schlafen, in dem ihre tote Schwester lag. Über mir hörte ich Bodendielen knarren und Bettfedern quietschen. Dann war Ruhe.
    Ich lag im Dunkeln, fand jedoch keinen Schlaf. Ich stellte mir vor, wie meine Tante die Sachen im Haus mit kritischem Blick betrachtete, ohne dass meine Mutter Gelegenheit hatte, sich zu schützen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Ich hätte als Erste hier sein sollen. Ich hätte alles in Ordnung bringen und für meine Mutter in ein gutes Licht rücken sollen. Endlich konnte ich ein bisschen weinen.
     
    Wir begruben sie auf dem Friedhof in der Nähe des Kirmesplatzes. Wir waren eine kleine, aber respektable Trauergesellschaft. Mrs Rodgers aus dem Dorf, die Eigentümerin des Kleidergeschäfts, für die meine Mutter geflickt hatte, und Doktor Arthur. Der Tag war so grau, wie solche Tage sein sollten. Der Schneeregen hatte aufgehört, aber die Luft war kalt, und wir wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es erneut schneien würde. Der Pfarrer las kurz aus der Bibel vor, den Blick zum Himmel gerichtet – ob er nach dem Herrgott oder nach dem Wetter Ausschau hielt, war mir nicht klar. Er sprach von Pflicht und Treue und davon, wie diese Tugenden dem Menschen den Weg durchs Leben weisen.
    An Einzelheiten erinnere ich mich nicht, denn ich war mit den Gedanken ganz woanders. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie meine Mutter gewesen war, als ich
noch klein war. Seltsam. Jetzt, wo ich alt bin, kommen die Erinnerungen von ganz allein: meine Mutter, die mir zeigt, wie man Fensterscheiben putzt, ohne dass sich Streifen bilden; meine Mutter beim Kochen des Weihnachtsschinkens, die Haare feucht vom Dampf; meine Mutter, wie sie über etwas, das Mrs Rodgers ihr über ihren Ehemann erzählt hat, das Gesicht verzieht. Aber damals ließ mich meine Erinnerung im Stich. Ich konnte nichts anderes sehen als das graue, eingesunkene Gesicht vom Vorabend.
    Ein eisiger Wind fegte mir entgegen und ließ meinen Rock um meine bestrumpften Beine flattern. Als ich in den halbdunklen Himmel aufblickte, sah ich neben der alten Eiche auf dem Hügel eine Gestalt stehen. Es war ein Mann, ein Gentleman, das war gut zu erkennen. Er trug einen langen, schwarzen Mantel und einen steifen, glänzenden Hut. In der Hand hielt er einen Spazierstock, oder vielleicht war es auch ein fest zusammengewickelter Regenschirm. Anfangs dachte ich mir nichts dabei, hielt ihn für jemanden, der ein anderes Grab besuchte. Dass es seltsam war, dass ein Gentleman, der sicherlich ein eigenes Anwesen und einen eigenen Familienfriedhof besaß, ein Grab auf dem Dorffriedhof aufsuchte, kam mir in jenem Augenblick nicht in den Sinn.
    Als der Pfarrer die erste Handvoll Erde auf den Sarg meiner Mutter warf, schaute ich noch einmal zu dem Baum hinüber. Der Gentleman stand immer noch da. Er beobachtete uns. Es fing wieder an zu schneien, und der Mann schaute nach oben. Licht fiel auf sein Gesicht.
    Es war Mr Frederick. Aber er hatte sich verändert. Wie das Opfer eines Fluchs in einem Märchen war er ganz plötzlich alt geworden.
    Der Pfarrer beeilte sich, zum Ende zu kommen, und der Totengräber gab seinen Männern Anweisung, das Grab wegen des schlechten Wetters schnell zuzuschütten.

    Meine Tante stand neben mir. »Nicht zu fassen«, murmelte sie. Zuerst dachte ich, sie meinte den Totengräber oder vielleicht den Pfarrer. Aber als ich ihrem Blick folgte, sah ich, dass sie zu Mr Frederick hinüberschaute. Ich fragte mich, woher sie ihn kannte. Sagte mir, dass meine Mutter ihn ihr bei einem Besuch wahrscheinlich einmal gezeigt hatte. »Nicht zu fassen. Dass der es wagt, sich hier blicken zu lassen.« Sie schüttelte den Kopf, die Lippen fest zusammengepresst.
    Ihre Worte ergaben für mich keinen Sinn, doch als ich mich umdrehte, um sie danach zu fragen, war sie schon fort, unterhielt sich lächelnd mit dem Pfarrer und bedankte sich für die einfühlsame Grabrede. Ich nahm an, dass sie die Familie

Weitere Kostenlose Bücher