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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Grausamkeit, dein Name sei Hannah.«
    Hannah sah ihn ernst an. »Ich bin nicht grausam, ich denke nur praktisch. Romantik bringt die Leute dazu, sich selbst zu vergessen und Dummheiten zu begehen.«
    David lächelte, das amüsierte Lächeln eines älteren Bruders, der sich sicher ist, dass die Zeit seine Schwester schon noch eines Besseren belehren wird.
    »Es stimmt«, insistierte Hannah. »Miss Prince täte besser daran, sich den Kerl aus dem Kopf zu schlagen und sich – und uns – mit interessanten Dingen zu beschäftigen. Wir könnten zum Beispiel den Bau der Pyramiden durchnehmen, den Untergang von Atlantis oder die Abenteuer der Wikinger …«
    Emmeline gähnte und David hob die Hände als Zeichen seiner Kapitulation.

    »Jedenfalls«, fuhr Hannah fort, während sie ihre Zettel einsammelte. »Wir vergeuden unsere Zeit. Wir machen da weiter, wo Miriam Lepra kriegt.«
    »Das haben wir doch schon hundertmal geprobt«, nörgelte Emmeline. »Können wir nicht was anderes machen?«
    »Was denn?«
    Emmeline zuckte verlegen die Achseln. »Ich weiß nicht.« Sie schaute erst Hannah, dann David an. »Könnten wir nicht das SPIEL spielen?«
    Nein. Damals war es noch nicht das SPIEL. Es war einfach ein SPIEL. Gut möglich, dass Emmeline an jenem Morgen Conkers oder Jacks oder Murmeln spielen wollte. Erst viel später begann ich, das SPIEL in Gedanken mit Großbuchstaben zu schreiben und das Wort mit Geheimnissen und Fantasien und ungeahnten Abenteuern in Verbindung zu bringen. Aber an jenem trüben, feuchten Morgen, als der Regen gegen die Fenster des Kinderzimmers prasselte, schenkte ich ihm kaum Beachtung.
    Während ich hinter dem Sessel still und unbeobachtet die vertrockneten Blütenblätter zusammenfegte, stellte ich mir vor, wie es wäre, Geschwister zu haben. Ich hatte mir immer einen Bruder oder eine Schwester gewünscht. Einmal hatte ich meiner Mutter von meinem Wunsch erzählt und sie gefragt, ob ich vielleicht eine Schwester bekommen könnte. Eine, mit der ich plaudern und Streiche aushecken, mit der ich flüstern und träumen könnte. Meine Mutter hatte gelacht, aber es war ein verbittertes Lachen gewesen. Und dann hatte sie mir erklärt, sie sei nicht gewillt, denselben Fehler ein zweites Mal zu begehen.
    Wie mochte man sich fühlen, fragte ich mich, wenn man wusste, wohin man gehörte, wenn man der Welt als Angehöriger eines Stammes, im Verein mit einer ganzen
Schar Verbündeter entgegentreten konnte? Während ich darüber nachdachte und geistesabwesend den Sessel abstaubte, regte sich plötzlich etwas unter meinem Staubwedel. Eine Decke wurde zurückgeschlagen, und eine weibliche Stimme krächzte: »Was ist? Was ist los? Hannah? David?«
    Sie war so alt wie die Zeit. Eine uralte Frau, die, vor Blicken verborgen, zwischen den Kissen lag. Das musste Nanny Brown sein, das Kindermädchen. Ich hatte schon öfter gehört, wie mit leiser, ehrfürchtiger Stimme über sie gesprochen wurde, sowohl im Dienstbotentrakt als auch im Salon. Sie hatte Lord Ashbury großgezogen und war so eng mit der Familie verbunden wie das Haus selbst.
    Unter den Blicken aus drei Paar blauen Augen stand ich wie versteinert da, den Staubwedel in der Hand.
    Die alte Frau fragte: »Hannah? Was geht hier vor?«
    »Nichts, Nanny Brown«, sagte Hannah, die endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte. »Wir proben nur für das Theaterstück. Von jetzt an werden wir leise sein.«
    »Passt auf, dass Raverley nicht zu ausgelassen wird, wenn er zu lange drinnen eingesperrt ist«, sagte Nanny Brown.
    »Nein, Nanny Brown«, erwiderte Hannah. Ihr Tonfall verriet, dass sie nicht nur engagiert, sondern auch empfindsam sein konnte. »Wir sorgen dafür, dass er nichts anstellt.« Sie trat an den Sessel und deckte die winzige alte Frau wieder zu. »So, Nanny Brown, Sie müssen sich jetzt ausruhen.«
    »Na ja«, flüsterte Nanny Brown schläfrig. »Vielleicht ein Weilchen.« Ihre Augen fielen zu, und kurz darauf atmete sie tief und gleichmäßig.
    Mit angehaltenem Atem wartete ich darauf, dass eins der Kinder etwas zu mir sagte. Sie schauten mich immer
noch mit großen Augen an. Eine endlos lange Minute verging, während ich mir ausmalte, wie ich vor Nancy oder, schlimmer noch, vor Mr Hamilton gezerrt würde und erklären müsste, wie ich die Unverfrorenheit besitzen konnte, Nanny Brown abzustauben. Ich stellte mir den missbilligenden Blick meiner Mutter vor, wenn ich nach Hause käme, entlassen ohne Empfehlungsschreiben …
    Aber sie schalten mich nicht,

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