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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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– oder ich streiche Moses ganz aus dem Stück.«

    »Vielleicht könnten wir eine ganz andere Szene aufführen«, schlug Emmeline hoffnungsvoll vor. »Eine mit Maria und dem Jesuskind?«
    Hannah schnaubte verächtlich.
    Sie probten für ihr Theaterstück. Alfred, der Hausdiener, hatte mir erzählt, dass es am kommenden Feiertag einen Theaterabend geben würde. Es war eine Familientradition: Einige Familienmitglieder sangen, andere trugen Gedichte vor, und die Kinder führten jedes Mal eine Szene aus dem Lieblingsbuch ihrer Großmutter auf.
    »Wir haben diese Szene ausgesucht, weil sie wichtig ist«, sagte Hannah.
    » Du hast sie ausgesucht, weil sie wichtig ist«, entgegnete Emmeline.
    »Ganz genau«, sagte Hannah. »Sie handelt von einem Vater, der zwei verschiedene Erziehungsprinzipien hat: eins für seine Söhne und eins für seine Töchter.«
    »Klingt für mich absolut vernünftig«, bemerkte David ironisch.
    Hannah beachtete ihn nicht. »Miriam und Aaron haben sich desselben Vergehens schuldig gemacht: Sie haben über die Ehe ihres Bruders diskutiert …«
    »Was haben sie denn gesagt?«, wollte Emmeline wissen.
    »Das spielt keine Rolle, sie haben einfach …«
    »Haben sie Gemeinheiten gesagt?«
    »Nein, und darum geht es auch nicht. Das Wichtige ist, dass Gott Miriam mit Lepra bestraft, während Aaron mit einer Standpauke davonkommt. Findest du das etwa gerecht, Emmeline?«
    »Hat Moses nicht eine Afrikanerin geheiratet?«, fragte Emmeline.
    Hannah schüttelte entnervt den Kopf. Mir fiel auf, dass sie das häufig tat. Jeder Bewegung ihres langgliedrigen
Körpers wohnte eine grimmige Energie inne, was zur Folge hatte, dass sie schnell frustriert war. Emmeline dagegen besaß die bedächtige Haltung einer zum Leben erwachten Puppe. Die Gesichtzüge der beiden, die sich, einzeln betrachtet, ähnelten – zwei niedliche Nasen, zwei Paar leuchtend blaue Augen, zwei hübsche Münder – waren in ihrer Gesamtheit einzigartig und außergewöhnlich. Während Hannah an eine Feenkönigin erinnerte – leidenschaftlich, geheimnisvoll, unwiderstehlich –, war Emmelines Schönheit mehr irdischer Natur. Zwar war sie noch ein Kind, aber wenn sie entspannt war und ihre Lippen sich öffneten, erinnerte sie mich an ein Foto von einer Filmdiva, das ich einmal gesehen hatte, als es einem Hausierer aus der Tasche gefallen war.
    »Was ist? Das hat er doch, oder?«, beharrte Emmeline.
    »Ja, hat er«, sagte David lachend. »Moses hat eine Äthiopierin geheiratet. Hannah ist bloß frustriert, weil wir ihre Leidenschaft für die Suffragettenbewegung nicht teilen.«
    »Hannah! Das meint er doch nicht ernst, oder? Du bist doch keine Suffragette!«
    »Natürlich bin ich das«, erwiderte Hannah. »Und du auch.«
    »Weiß Papa davon?«, flüsterte Emmeline. »Er wird sich fürchterlich aufregen.«
    »Pah«, schnaubte Hannah. »Papa ist ein Kätzchen.«
    »Nein, ein Löwe«, sagte Emmeline mit bebenden Lippen. »Bitte mach ihn nicht wütend, Hannah.«
    »Mach dir keine Sorgen, Emmeline«, sagte David. »Eine Suffragette zu sein ist neuerdings der letzte Schrei unter den Damen der High Society.«
    Emmeline sah ihn zweifelnd an. »Fanny hat noch nie was davon erwähnt.«

    »Jede Frau, die etwas auf sich hält, wird in diesem Jahr einen Abendanzug zum Debütantinnenball tragen«, verkündete David.
    Emmelines Augen weiteten sich.
    Ich hörte ihnen zu, während ich die Bücherregale abstaubte, und fragte mich, was das alles zu bedeuten hatte. Das Wort »Suffragette« hatte ich noch nie gehört, stellte mir jedoch vor, dass es sich um eine Art Krankheit handelte, eine von der Sorte, die Mrs Nammersmith aus dem Dorf sich zugezogen hatte, als sie sich bei der Osterdemonstration das Korsett vom Leib gerissen hatte und ihr Mann sie nach London ins Krankenhaus bringen musste.
    »Du bist gemein«, sagte Hannah. »Bloß weil Papa Emmeline und mir nicht erlaubt, eine Schule zu besuchen, brauchst du nicht dauernd nach einer Gelegenheit suchen, dich über uns lustig zu machen.«
    »Da muss ich nicht lange suchen«, entgegnete David, setzte sich auf die Truhe mit dem Spielzeug und schob sich eine Locke aus der Stirn. Ich hielt die Luft an: Er war genauso schön und golden wie seine Schwestern. »Und außerdem verpasst ihr nicht viel. Die Schule wird absolut überbewertet.«
    »Ach ja?« Hannah hob argwöhnisch die Brauen. »Normalerweise ergötzt du dich daran, mir zu erzählen, was ich alles verpasse. Woher der plötzliche Sinneswandel? « Ihre Augen

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