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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Manchmal betrachtete sie ihren Hals im Spiegel, so wie eine jung verheiratete Frau ihren Ehering betrachtet, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumt. Sie wusste, er wäre entsetzt gewesen, wenn sie ihm davon erzählt hätte.
     
    Jede Liebesgeschichte lebt anfangs nur in der Gegenwart. Doch irgendwann kommt ein Zeitpunkt – ein Ereignis, eine Veränderung, irgendein unerwarteter Auslöser –, der die Vergangenheit und die Zukunft wieder ins Blickfeld rückt. Für Hannah war es dieses Erlebnis. Er hatte also noch andere Seiten. Seiten, die sie bisher nicht gekannt hatte. Vor lauter Glück über diese unerwartete Liebe hatte sie nichts anderes sehen können. Aber je länger sie über diese neue Seite an ihm nachdachte, über die sie so wenig wusste, umso frustrierter wurde sie. Umso entschlossener, mehr darüber zu erfahren.
    An einem kühlen Septembernachmittag saßen sie nebeneinander auf dem Bett und schauten durchs Fenster zum Kai hinüber. Leute liefen in alle Richtungen, Fremde,
denen sie Namen und imaginäre Lebensläufe andichteten. Eine ganze Weile hatten sie nun schon schweigend dagesessen, zufrieden damit, das Treiben am Kai von ihrem Versteck aus zu beobachten, als Robbie unvermittelt aus dem Bett sprang.
    Sie blieb liegen, drehte sich auf die Seite und sah zu, wie er sich an den Küchentisch setzte, ein Bein unter sich gezogen, und sich über sein Notizbuch beugte. Er versuchte, ein Gedicht zu schreiben. Hatte es schon den ganzen Tag über immer wieder versucht. Er war ihr die ganze Zeit abgelenkt erschienen, hatte wenig Begeisterung für ihr Spiel aufgebracht. Doch das störte sie nicht. Auf eine Weise, die sie sich nicht erklären konnte, machte seine gedankenverlorene Stimmung ihn für sie noch anziehender.
    Vom Bett aus beobachtete sie, wie seine Finger den Bleistift in Kreisen und Schleifen über die Seite dirigierten, nur um immer wieder abrupt innezuhalten, zu zögern und den eben genommenen Weg umso entschlossener wieder fortzusetzen. Dann schob er das Notizbuch von sich, warf den Bleistift auf den Tisch und rieb sich die Augen.
    Sie sagte lieber nichts. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn so erlebte. Er ärgerte sich über sein Unvermögen, die richtigen Worte zu finden. Das hatte er ihr zwar nie direkt gesagt, doch sie wusste es auch so. Sie hatte ihn beobachtet, hatte über das Phänomen gelesen: in der Bibliothek und in Zeitungen und Zeitschriften. Es war ein Anzeichen für das, was die Ärzte Kriegstrauma nannten. Ein schleichender Gedächtnisverlust, die Abstumpfung des Gehirns durch traumatische Erlebnisse.
    Wie gern hätte sie ihm geholfen, diese Erlebnisse zu vergessen. Sie hätte alles dafür gegeben, ihn von dieser schrecklichen Angst, allmählich den Verstand zu verlieren,
befreien zu können. Er nahm die Hand von den Augen, griff nach dem Bleistift und dem Notizbuch. Fing erneut an zu schreiben, hielt inne, strich wieder durch, was er gerade geschrieben hatte.
    Hannah drehte sich auf den Bauch und beobachtete die Leute, die draußen vorbeigingen.
     
    Und es war wieder Winter. Robbie stellte den kleinen Ofen vor die Küchenwand. Sie setzten sich auf den Boden und sahen dem Flackern der Flammen zu. Ihre Haut war warm, und sie waren beschwipst vom Wein und voneinander.
    Hannah trank einen Schluck Wein und sagte: »Warum sprichst du nie über den Krieg?«
    Anstatt ihr zu antworten, zündete er sich eine Zigarette an.
    Sie hatte bei Freud über Verdrängung gelesen und dachte, wenn sie Robbie dazu bringen könnte, über seine Erlebnisse zu sprechen, würde er vielleicht geheilt werden. Sie hielt den Atem an, wagte kaum, die Frage zu stellen. »Ist es, weil du jemanden getötet hast?«
    Er schaute sie von der Seite an, zog an seiner Zigarette, blies den Rauch aus, schüttelte den Kopf. Dann begann er leise vor sich hin zu lachen. Schließlich legte er eine Hand an ihre Wange.
    »Ist es das?«, flüsterte sie, ohne ihn anzusehen.
    Er antwortete nicht, zog wieder an seiner Zigarette.
    »Von wem träumst du?«
    Er nahm seine Hand weg. »Die Antwort darauf kennst du«, sagte er. »Ich träume nur von dir.«
    »Das will ich nicht hoffen«, erwiderte Hannah. »Es sind keine schönen Träume.«
    Er zog an der Zigarette, atmete aus. »Frag mich nicht danach«, sagte er.

    »Du leidest an einem Kriegstrauma, nicht wahr?«, sagte sie und wandte sich ihm zu. »Ich habe darüber gelesen. «
    Ihre Blicke begegneten sich. So tiefe Dunkelheit. Wie nasse Farbe. Voller

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