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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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seiner molligen Frau, die es sich beide zur Aufgabe gemacht hatten, jeden noch so ausgefallenen Wunsch ihrer Kunden zu erfüllen. Selbst während des Krieges gelang es Mr Georgias immer, noch ein zusätzliches Paket Tee aufzutreiben – zu einem angemessenen Preis natürlich. In meinen Kinderaugen war der Laden das reinste Wunderland. Staunend schaute ich ins Schaufenster und betrachtete die bunten Schachteln mit Horlicks Malzpulver und Ingwerplätzchen von Huntley & Palmer. Köstlichkeiten, die es bei uns zu Hause nie gab. Auf breiten, glatten Verkaufstheken lagen gelbe Butter- und Käseblöcke, Schachteln mit frischen Eiern – die manchmal sogar noch warm waren –
und getrockneten Bohnen, die auf Waagen aus glänzendem Messing abgewogen wurden. An manchen Tagen – in meinen Augen die besten – nahm meine Mutter von zu Hause einen Topf mit, den Mr Georgias dann mit schwarzem Zuckersirup füllte …
    Ruth tippte meinen Arm an und zog mich auf die Beine, und wir setzten unseren Weg die Saffron High Street hinunter fort bis zu der ausgeblichenen, rot-weiß gestreiften Markise von Maggie’s Café. Wir bestellten das Übliche – zwei Tassen englischen Frühstückstee und einen Scone zum Teilen – und setzten uns an den Tisch am Fenster.
    Die junge Frau, die uns den Tee brachte, war neu, und zwar nicht nur in Maggie’s Café, sondern auch in ihrem Beruf, nach dem zu urteilen, wie ungeschickt sie eine Untertasse in jeder Hand hielt und den Teller mit dem Scone auf ihrem zitternden Handgelenk balancierte.
    Ruth betrachtete missbilligend die unvermeidlichen Teepfützen in unseren Untertassen. Sie hielt sich jedoch gnädig zurück und presste die Lippen zusammen, als sie Papierservietten zwischen Tassen und Untertassen schob.
    Wie üblich nippten wir schweigend an unserem Tee, bis Ruth schließlich ihren Teller über den Tisch schob. »Du kannst meine Hälfte auch haben. Du siehst so mager aus.«
    Ich überlegte kurz, ob ich sie an Mrs Simpsons Maxime erinnern sollte, nach der eine Frau niemals zu reich oder zu dünn sein kann, ließ es dann aber bleiben. Ruths Sinn für Humor, der nie besonders ausgeprägt gewesen war, hatte sie in letzter Zeit gänzlich verlassen.
    Ich sehe wirklich mager aus. Mir ist der Appetit abhanden gekommen. Das liegt weniger daran, dass ich keinen Hunger mehr habe, sondern rührt daher, dass ich nichts mehr schmecke. Und wenn die letzte Geschmacksknospe
sich zusammenrollt und stirbt, vergeht einem auch die Lust am Essen. Das modische Ideal, nach dem ich in meiner Jugend vergeblich gestrebt habe – dünne Arme, kleine Brüste, Blutarmut –, ist jetzt mein Schicksal. Allerdings gebe ich mich nicht der Illusion hin, dass es mir ebenso gut steht wie seinerzeit Coco Chanel.
    Ruth betupfte sich die Lippen, um einen unsichtbaren Krümel zu entfernen, dann räusperte sie sich, faltete ihre Serviette zweimal und schob sie unter ihr Messer. »Ich muss mir noch etwas aus der Apotheke besorgen«, sagte sie. »Kann ich dich einen Augenblick allein lassen?«
    »Aus der Apotheke?«, fragte ich. »Warum? Was ist los?« Sie ist Mitte sechzig, Mutter eines erwachsenen Mannes, und immer noch bleibt mir fast das Herz stehen, wenn ich fürchte, dass etwas mit ihr nicht in Ordnung sein könnte.
    »Nichts«, sagte sie. »Nichts Schlimmes.« Sie erhob sich steif und flüsterte: »Ich brauche nur was zum Schlafen.«
    Ich nickte; wir wissen beide, warum sie nicht schlafen kann. Es steht zwischen uns, eine gemeinsame Traurigkeit, sauber verpackt durch unsere unausgesprochene Übereinkunft, nicht darüber zu reden. Nicht über ihn zu reden.
    Ruth beeilte sich, das Schweigen zu brechen. »Du kannst hier sitzen bleiben, bis ich zurück bin. Hier an der Heizung hast du es schön warm.« Sie nahm ihre Jacke und ihre Handtasche und schaute mich an. »Dass du mir nicht auf die Idee kommst, spazieren zu gehen!«
    Ich schüttelte den Kopf, als sie zur Tür eilte. Ruth hat ständig Angst, dass ich verschwinden könnte, sobald sie mich allein lässt. Ich frage mich, was sie glaubt, wohin ich wohl so dringend möchte.
    Durchs Fenster sah ich ihr nach, bis sie zwischen den dahineilenden Menschen nicht mehr auszumachen war.
Alle diese unterschiedlichen Körperformen und -größen. Und erst die Kleidung! Was hätte Mrs Townsend wohl dazu gesagt?
    Ein rosawangiges Kind ging vorbei, ausstaffiert wie ein kleines Püppchen, vorwärtsgezerrt von einer gestressten Mutter. Das Kind – Mädchen oder Junge, schwer zu sagen – schaute

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