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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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und dann die Arme und Beine einseifte, eine Melodie vor sich hin, die mir unbekannt war. Anschließend drückte sie mich auf meinen Badestuhl und ließ mich allein unter der warmen Dusche sitzen. Mit beiden Händen hielt ich mich an dem unteren Griff fest und zog mich nach vorne. Ich stöhnte erleichtert auf, als das Wasser über meinen verspannten Rücken lief.
    Mit Helens Hilfe saß ich also um halb acht frisch gebadet, ordentlich angezogen und adrett frisiert am Frühstückstisch. Ich würgte eine Scheibe labberiges Toastbrot herunter und trank eine Tasse Tee. Dann holte Ruth mich zum Kirchgang ab.
    Ich bin nicht sonderlich religiös. Es gab sogar Zeiten, in denen ich jeden Glauben verloren hatte, als ich den ach so gütigen Vater verwünschte, der es zuließ, dass seine Kinder solche irdischen Schrecken erleben mussten. Aber ich habe schon vor langer Zeit meinen Frieden mit Gott gemacht. Das Alter macht milde. Außerdem geht Ruth gern in die Kirche, und es kostet mich wenig, ihr den Gefallen zu tun.
    Es ist Fastenzeit, die Zeit der Gewissensprüfung und der Reue, die dem Osterfest vorausgeht, und heute Morgen war die Kanzel mit violetten Tüchern drapiert. Die Predigt zum Thema Schuld und Verzeihen war recht ansprechend. (Und passend angesichts der Mühen, die auf mich zu nehmen ich mich entschlossen habe.) Der Pfarrer las aus Johannes, Kapitel 14, und flehte die Gemeindemitglieder an, nicht auf die Angstmacher zu hören, die den drohenden Weltuntergang heraufbeschworen, und ermahnte sie, stattdessen durch Christus ihren inneren Frieden zu finden. »Ich bin der Weg, die Wahrheit und
das Leben«, las er vor, »niemand kommt zum Vater außer durch mich.« Und dann empfahl er uns, uns ein Beispiel am Glauben der Apostel zu Beginn des ersten Jahrtausends zu nehmen. Judas natürlich ausgenommen: Ein Mann, der Jesus für dreißig Silberlinge verriet und sich anschließend erhängte, taugt nicht gerade als Vorbild.
    Nach dem Gottesdienst machen wir gewöhnlich einen Spaziergang zur High Street, um in Maggie’s Café eine Tasse Tee zu trinken. Wir gehen immer in Maggie’s Café, obwohl Maggie schon vor Jahren mit einem Koffer und dem Ehemann ihrer besten Freundin die Stadt verlassen hat. Als wir heute Morgen die Church Street hinuntergingen, Ruths Hand an meinem Arm, entdeckte ich die ersten vorwitzigen Knospen an den Hecken entlang der Straße. Das Rad der Zeit hat sich einmal mehr gedreht, und der Frühling ist unterwegs.
    Auf der Holzbank unter der hundertjährigen Ulme, an deren dickem Stamm sich die Church Street und die Saffron High Street treffen, ruhten wir uns eine Weile aus. Die Wintersonne sickerte durch das Geflecht der kahlen Äste und wärmte mir den Rücken. Seltsam, diese sonnigen Tage am Ende des Winters, an denen einem kalt und warm zugleich sein kann.
    Als ich ein kleines Mädchen war, rollten von Pferden gezogene Kutschen und Karren durch diese Straßen. Nach dem Krieg dann auch Automobile: Austens und Tin Lizzies, deren Fahrer Schutzbrillen trugen und kräftig auf die Hupen drückten. Damals waren die Straßen verdreckt, voller Schlaglöcher und mit Pferdeäpfeln übersät. Alte Damen schoben Kinderwagen mit großen Speichenrädern, und kleine Jungs mit leerem Blick verkauften Zeitungen aus Pappkartons.
    An der Ecke, wo sich heute die Tankstelle befindet, stand immer die Salzverkäuferin. Vera Pipp: eine drahtige
Frau mit Kopftuch, stets eine dünne Tonpfeife im Mundwinkel. Ich habe mich immer hinter dem Rock meiner Mutter versteckt und mit großen Augen zugesehen, wie Mrs Pipp riesige Salzbrocken auf ihren Handkarren hievte, die sie dann mit einer Säge und einem Messer in kleinere Stücke zerteilte. Sie ist in vielen meiner Albträume vorgekommen mit ihrer Tonpfeife und ihrem glänzenden Haken.
    Auf der anderen Straßenseite befand sich der Laden des Pfandleihers, erkennbar an drei Messingkugeln über dem Eingang, genau wie in jeder anderen Stadt in ganz Großbritannien zu Anfang des Jahrhunderts. Meine Mutter und ich gingen jeden Montag dorthin, um unsere Sonntagskleider gegen ein paar Schillinge einzutauschen. Am Freitag, wenn das Geld für die Flickarbeiten kam, schickte sie mich los, um die Kleider wieder auszulösen, damit wir für den Sonntagsgottesdienst etwas Anständiges zum Anziehen hatten.
    Den Lebensmittelladen mochte ich am liebsten. Heute ist es ein Copyshop, aber zu meiner Zeit gehörte der Laden einem großen, hageren Mann mit einem starken Akzent und buschigen Augenbrauen und

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