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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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aus dem Netz, bedankte sich bei dem Polizisten, entschuldigte sich noch einmal bei der Dame, dann schaute sie mich an. Ich wartete ängstlich, ob sie lachen oder weinen würde. Sie tat beides, aber erst später. Sie packte mich an meinem braunen Mantel, führte mich weg von der Menge, die sich allmählich auflöste, und blieb erst stehen, nachdem wir in die Railway Street eingebogen waren. Während der Zug nach London aus dem Bahnhof fuhr, drehte sie sich zu mir um und zischte: »Du ungezogenes Mädchen! Ich dachte,
ich hätte dich verloren. Du bringst mich noch mal ins Grab! Möchtest du das? Deine eigene Mutter umbringen? « Dann strich sie meinen Mantel glatt, schüttelte den Kopf und nahm meine Hand so fest in ihre, dass es wehtat. »Manchmal wünschte ich, ich hätte dich als Findelkind im Waisenhaus abgegeben, so wahr mir Gott helfe.«
    Das sagte sie jedes Mal, wenn ich unartig gewesen war, und zweifellos enthielt die Verwünschung mehr als ein Körnchen echten Gefühls. Sicherlich gab es einige Leute, die der Meinung waren, meine Mutter hätte es leichter im Leben gehabt, wenn sie mich im Waisenhaus abgegeben hätte. Nichts führte so unweigerlich wie eine Schwangerschaft dazu, dass eine Frau ihre Stellung verlor, und seit meiner Geburt wusste meine Mutter kaum jemals, wie sie über die Runden kommen sollte.
    Wie es dazu kam, dass mir das Waisenhaus erspart blieb, diese Geschichte habe ich so oft zu hören bekommen, dass ich manchmal glaubte, ich hätte sie schon gekannt, als ich auf die Welt kam. Die Reise meiner Mutter zum Russell Square in London – ich in eine Decke gewickelt und unter ihrem Mantel verstaut, um mich warm zu halten – war für uns zu einer Art Legende geworden. Ihr Gang die Grenville Street und dann die Guilford Street hinunter, vorbei an Leuten, die die Köpfe schüttelten, weil sie genau wussten, wohin sie mit ihrem kleinen Bündel wollte. Wie sie das Waisenhaus schon von Weitem an den vielen jungen Frauen erkannt hatte, die vor seinen Toren standen und wie benommen ihre greinenden Babys wiegten. Dann, der Höhepunkt, die Stimme (Gottes Stimme, sagte meine Mutter, die Stimme der Dummheit, meinte meine Tante Dee), die ihr plötzlich laut und deutlich befahl, umzukehren, und ihr erklärte, es sei ihre Pflicht, ihr Baby zu behalten. Der Augenblick,
für den ich nach Meinung der Familie auf ewig dankbar zu sein hatte.
    An jenem Morgen, als mir das mit dem Knopf und dem Einkaufsnetz passiert war, brachte meine Mutter mich mit dem Hinweis auf das Waisenhaus zum Schweigen. Allerdings nicht, wie sie zweifellos glaubte, aus Dankbarkeit darüber, dass ich diesem Schicksal entronnen war. Vielmehr wandelte ich auf den ausgetretenen Pfaden eines meiner Lieblingstagträume. Ich liebte es geradezu mir vorzustellen, wie ich im Waisenhaus zusammen mit all den anderen Kindern Lieder sang. Dort hätte ich jede Menge Brüder und Schwestern zum Spielen gehabt, anstatt einer verschrobenen Mutter, deren Gesicht von Enttäuschungen gezeichnet war. Enttäuschungen, von denen ich sicherlich eine war.
    Das Gefühl, dass jemand neben mir stand, zog mich durch den langen Tunnel der Erinnerung zurück ins Hier und Jetzt. Als ich mich umdrehte, blickte ich in das Gesicht einer jungen Frau. Es dauerte einen Augenblick, bis mir dämmerte, dass es die Kellnerin war, die den Tee serviert hatte. Sie schaute mich erwartungsvoll an.
    Ich blinzelte. »Ich glaube, meine Tochter hat bereits bezahlt.«
    »Aber ja«, erwiderte die junge Frau mit weicher Stimme und irischem Akzent. »Ja, das hat sie. Gleich, als sie bestellt hat.« Dennoch rührte sie sich nicht vom Fleck.
    »Ist denn sonst noch was?«, fragte ich.
    Sie schluckte. »Na ja, Sue in der Küche sagt, Sie sind die Großmutter von … Also, sie meint, Ihr Enkel ist … ist Marcus McCourt, und ich bin seine glühendste Verehrerin. Ich liebe Inspektor Adams. Ich habe alle Bände gelesen.«
    Marcus. Die kleine Sorgenmotte flatterte in meiner Brust, wie immer, wenn jemand seinen Namen ausspricht.
Ich lächelte die junge Frau an. »Freut mich zu hören. Mein Enkel würde sich darüber bestimmt freuen.«
    »Es hat mir so leidgetan, als ich das von seiner Frau gelesen habe.«
    Ich nickte.
    Sie zögerte, und ich machte mich auf die Fragen gefasst, die kommen würden, die immer kamen: Schrieb er trotzdem wieder an einer Inspektor-Adams-Geschichte? Würde sie bald erscheinen? Ich war erstaunt, als das Taktgefühl ihre Neugier besiegte. »Tja … war nett, Sie kennenzulernen«,

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