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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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vielleicht …
    Ein lauter Freudenschrei ließ Hannah herumfahren. Blinzelnd hob ich den Blick. Die Sonne stand schon tief im Westen, und die Luft war diesig.
    Emmeline hockte auf dem marmornen Felsen neben dem Ikarus. Ihr hellblondes, lockiges Haar war offen, und sie hatte sich eine Clematisblüte hinters Ohr gesteckt. Der nasse Saum ihres Unterrocks klebte ihr an den Beinen.
    Im warmen, weißen Sonnenlicht sah sie aus, als wäre sie Teil der Statue, eine vierte Meerjungfrau, die gerade zum Leben erwacht war. Sie winkte uns, das heißt, sie winkte Hannah zu. »Komm rauf. Von hier aus kann man den See sehen.«
    »Ich weiß«, rief Hannah ihr zu. »Ich hab’s dir gezeigt, hast du das schon vergessen?«
    Ein tiefes Dröhnen ertönte, als ein Flugzeug über unsere Köpfe hinwegflog. Ich wusste nicht, um welchen Typ es sich handelte. Alfred hätte es mir sicherlich sagen können.
    Hannah schaute dem Flugzeug nach, bis es nur noch ein winziger Punkt war und im gleißenden Licht verschwand. Dann sprang sie unvermittelt auf und ging entschlossen zu dem Gartenstuhl hinüber, auf dem ihre Kleider lagen. Als sie sich das schwarze Kleid überzog, stellte ich das Limonadenglas ab und half ihr.
    »Was machst du?«, wollte Emmeline wissen.
    »Ich ziehe mich an.«
    »Warum?«
    »Ich hab was im Haus zu erledigen.« Hannah hielt still, während ich ihr Mieder festzog. »Miss Prince hat mir französische Verben aufgegeben.«

    »Wie bitte?« Emmeline zog misstrauisch die Nase kraus. »Wir haben doch Ferien.«
    »Ich hab sie um Extra-Hausaufgaben gebeten.«
    »Hast du nicht.«
    »Doch, hab ich.«
    »Dann komme ich mit«, sagte Emmeline, ohne sich zu rühren.
    »Meinetwegen«, erwiderte Hannah kühl. »Und wenn du dich langweilst, wird Lord Gifford dir bestimmt gern Gesellschaft leisten.« Sie setzte sich auf den Stuhl und begann, sich die Stiefel zu schnüren.
    »Komm schon«, sagte Emmeline schmollend. »Erzähl mir, was du vorhast. Du weißt doch, dass ich den Mund halten kann.«
    »Na, Gott sei Dank«, antwortete Hannah mit einem ironischen Unterton und sah ihre Schwester mit großen Augen an. »Das wäre ja auch schrecklich peinlich, wenn jemand herausfinden würde, dass ich französische Vokabeln pauke.«
    Eine Weile hielt Emmeline Hannahs Blick stand, während sie mit den Füßen gegen einen von Ikarus’ marmornen Flügeln schlug. Dann legte sie den Kopf schief. »Schwörst du, dass das alles ist, was du vorhast? «
    »Ich schwöre «, antwortete Hannah. »Ich gehe ins Haus, um ein paar Übersetzungen zu machen.« Als sie mir einen verstohlenen Blick zuwarf, begriff ich die Bedeutung ihrer Halbwahrheit. Sie wollte tatsächlich etwas übersetzen, aber nicht ins Französische, sondern in Stenografie. Ich senkte den Blick, zutiefst erfreut über meine Rolle als Mitverschwörerin.
    Emmeline schüttelte langsam den Kopf und sah Hannah mit zusammengekniffenen Augen an. »Lügen ist Sünde, das weißt du doch.«

    »Ja, ja, Fräulein Scheinheilig«, erwiderte Hannah lachend.
    Emmeline verschränkte die Arme. »Also gut. Dann behalt deine blöden Geheimnisse doch für dich. Die interessieren mich sowieso nicht.«
    »Umso besser«, antwortete Hannah. »Dann sind wir ja beide zufrieden.« Sie lächelte mich an, und ich erwiderte ihr Lächeln. »Danke für die Limonade, Grace.« Und dann verschwand sie durchs Tor und ging zum Haus.
    »Ich finde es sowieso raus«, rief Emmeline ihr nach. »Wie immer.«
    Sie schnaubte verächtlich, als Hannah nicht reagierte. Als ich mich zu ihr umdrehte, sah ich, wie die Clematisblüte, mit der sie sich geschmückt hatte, zu Boden trudelte. Sie schaute mich wütend an. »Ist das Glas Limonade für mich? Ich sterbe vor Durst.«
     
    Der Besuch bei meiner Mutter an jenem Nachmittag fiel kurz aus, und er wäre unter anderen Umständen nicht der Rede wert gewesen.
    Wenn ich bei meiner Mutter war, saßen wir normalerweise in der Küche. Als ich noch zu Hause gewohnt hatte, verbrachten wir dort die meiste Zeit, weil das Licht zum Nähen am besten war. Aber an jenem Tag führte meine Mutter mich direkt in das winzige Wohnzimmer neben der Küche. Ich wunderte mich und fragte mich, wen sie außer mir noch erwartete, denn das Zimmer wurde kaum benutzt, außer wenn hoher Besuch kam wie Doktor Arthur oder der Pfarrer. Ich setzte mich in den Sessel am Fenster und wartete, während Mutter Tee aufsetzte.
    Sie hatte sich alle Mühe gegeben, das Wohnzimmer auf Vordermann zu bringen, das sah ich sofort. Ihre
Lieblingsvase

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