Geheime Tochter
ein guter Anfang für deine Studie.«
36
In Gottes Händen
Mumbai, Indien – 2004
Kavita
»Kommt Vijay mit in den Tempel?«, ruft Jasu vom Balkon, wo er seine Schuhe putzt.
Kavita wartet einen Moment mit der Antwort. Die kleinen Teigbällchen zischen, als sie sie vorsichtig in den gusseisernen Topf fallen lässt. Sobald das brutzelnde Öl sich wieder auf ein sicheres Maß beruhigt hat, dreht sie den Kopf zur Tür und sagt: »Ich weiß nicht. Hat er nicht gesagt.«
»Dann müssen wir ja nicht auf ihn warten.« Jasus Bemerkung hätte sich nicht nur auf den heutigen Ausflug, sondern auch auf die drei letzten Monate beziehen können. Nach dem Vorfall mit der Polizei stellten sie Vijay zur Rede. Er behauptete, die Polizei wäre nur hinter ihm her, weil er sich weigerte, für seine Botenfirma Bestechungsgelder zu zahlen. Seitdem hat er sich zurückgezogen und verbringt die meiste Zeit mit Pulin und seinen anderen Freunden.
Kavita fischt die letzten frittierten Teigbällchen aus dem Topf und lässt sie zu den Übrigen auf das mit Papier ausgelegte Tablett gleiten. Sie wischt sich die Hände an dem Geschirrtuch ab, das sie sich in den Sari gesteckt hat. »Ich kann sie auch noch in Sirup legen, wenn wir wieder zurück sind. Ich ziehe mich rasch um.« Sie hat beschlossen, für Diwali gulab jamun zuzubereiten, obwohl esnur für sie drei eine sehr aufwendige Süßspeise ist. Sowohl bei ihr als auch bei Jasu löst Diwali dieses Jahr besonders sentimentale Gefühle aus – sie wären gern über die Feiertage nach Dahanu gefahren, aber Jasu hat sich in der Fabrik nicht freinehmen können. Sie fand, so ein kleiner Hauch Heimat könnte ihnen ganz guttun, und sie kann auch noch ein paar Bällchen mit zu Bhaya nehmen, bei der sie am Nachmittag eingeladen sind. Sie eilt ins Schlafzimmer, um sich einen anderen Sari anzuziehen. Sie wollen möglichst vor dem großen Ansturm am Tempel sein. An diesem Tag im Jahr herrscht im Mahalaxmi-Tempel am meisten Betrieb, und sie haben, anders als Sahib und Memsahib, die ihr und Bhaya einen seltenen Tag freigegeben haben, keinen Fahrer, der sie in der Nähe des Eingangs absetzt.
»Kavita ben , du hättest dir doch nicht so viel Mühe machen müssen!«, sagt Bhaya, als sie die Tür öffnet und die große Schüssel mit gulab jamun in ihren Händen sieht. »Aber natürlich freuen wir uns über die Früchte deiner harten Arbeit. Kommt bitte rein.« Bhaya lächelt und führt sie und Jasu in die Wohnung. Kavita ist überrascht, wie klein ihr diese zwei Räume vorkommen, die fast identisch sind mit denen ihrer alten chawl – Wohnung. Die übrigen Gäste sind ihre alten Nachbarn und Bhayas Familie. Alle begrüßen sie herzlich.
»Jasu bhai , du hast ein bisschen zugelegt am Bauch, hä? Was kocht deine Frau denn Leckeres für dich da drüben im schicken Sion?«, bemerkt Bhayas Mann lachend.
»Was für ein schöner Sari«, sagt eine Nachbarin zu Kavita und bewundert den tief burgunderroten Glanz.
»Danke.« Kavita wendet den Blick ab, die Aufmerksamkeit ist ihr unangenehm. Zum Glück haben schonbald alle Teller voller Essen auf dem Schoß. Sie plaudern über das Wetter (schlecht), die Qualität der Tomaten dieses Jahr (gut), den Brotpreis (hoch). Sie erzählen von ihren Kindern und Enkelkindern, deren Leistungen in der Schule und auf dem Cricketfeld. Unweigerlich kommen die neusten Hindi-Filme zur Sprache.
»Hast du Dhoom gesehen, Jasu bhai? Nein? Den musst du dir ansehen.«
»Großartiger Film«, sagt ein anderer Nachbar nickend.
» Hahnji , wir waren letzte Woche drin«, sagt Bhayas Mann. »Wirklich großartig. Erstklassig. Nicht der übliche Bollywood-Quatsch. Es geht um eine Gangsterbande auf Motorrädern. Keine Motorroller, wie man sie überall sieht, sondern richtig schnelle Maschinen. Die Bande ist in ganz Mumbai unterwegs und raubt Geldtransporter aus. Und die Polizei kriegt sie nicht zu fassen, weil sie sich auf ihren Maschinen so schnell aus dem Staub machen. Jedes Mal!« Er schlägt sich klatschend mit beiden Händen auf die Oberschenkel und wippt nach hinten.
»Abhishek Bachchan ist so klug und attraktiv, nai? «, sagt Bhaya zu ihrer Schwester.
» Hahnji , aber ich mag John Abraham lieber, der ist so cool!« Sie brechen in mädchenhaftes Lachen aus, sodass man kaum meinen sollte, dass sie zusammen ein gutes Jahrhundert alt sind.
»Apropos Banden«, sagt Bhayas Mann, »habt ihr gehört? Chandi Bajans Gauner sind wieder aktiv. Hahnji! Jetzt arbeitet ein ganzer Trupp für ihn in
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