Geheimes Verlangen
Knie, nimmt ihr den Pinsel aus der Hand, schließt sie in die Arme. »Nein«, sagt er, »um Gottes willen, nein. Ich habe dich so vermisst. Jeden Tag habe ich an dich gedacht. Ich konnte es gar nicht erwarten, dich endlich wiederzusehen.«
Dass er sie in den Armen hält ist das Einzige, was sie wirklich braucht, das Einzige, was sie vom Leben erwartet. Sie schmiegt sich an ihn, fragt traurig: »Und warum bist du dann ständig böse auf mich? Warum gibst du mir immer wieder das Gefühl, dass du mich nicht magst?«
Ihm ist so elend zumute, dass er zu wimmern beginnt, dass er sie an sich drückt, hinter ihrer zerbrechlichen Gestalt Schutz sucht. »Aber ich bin nicht verärgert, und natürlich mag ich dich.« Es ist ihm sehr wichtig, dass sie ihm glaubt. »Und ich bin auch nicht böse auf dich, niemals, nur traurig, sonst nichts. Ich bin traurig darüber, dass die Dinge so sind, wie sie nun einmal sind. Traurig um deinet- und um meinetwillen. Traurig, dass es nicht anders sein kann.«
»Aber es könnte anders sein«, flüstert sie an seiner Brust. »Wird es aber nicht.«
Er hält sie umklammert, wiegt sie, drückt seine Lippen an ihr Ohr. Sie ist brutal wie ein Tier, sie lebt in einer Welt, in der alles so ist, wie es scheint. Er überlegt, ob sie jemals vor einer einzigen nüchternen Wahrheit die Augen verschlossen hat. »Aber du weißt doch warum.«
»Ja«, sagt sie. »Weil manche Dinge wichtiger sind als andere.«
»Aber du bist mir wichtig«, beeilt er sich zu versichern. Er setzt sich aufrechter hin und sieht sie an. »Du wiegst mich in den Schlaf, und du weckst mich am Morgen. Du bist der Rhythmus meines Herzens. Du bist wie Wasser, du bist eine Glocke, du bist etwas, das ich unaufhörlich zu ergreifen suche. »Du bist das Wundervollste, das Beste, das Herrlichste.«
Sie lächelt scheu, vermeidet es, ihn anzuschauen. Sie weiß, dass all das Wunderbare, wovon er spricht, nur hier und da aufblitzt, und er weiß das ebenso gut, dessen ist sie sich ganz sicher. Er weiß, dass es sich nicht lohnt, für einen Glanz, der so vergänglich ist, etwas aufs Spiel zu setzen. Dieser Glanz ist wie das Licht der Sterne: von erhabener Schönheit, reinstes Silber am Firmament. Doch zu sehen ist das Leuchten nur, wenn irgendwo im Universum ein glühendes Herz explodiert oder unter Freisetzung ungeheurer Energien in sich zusammenstürzt. Ja, bereits jetzt wird dieser Glanz matt, schon jetzt gelten seine Worte weniger seinen augenblicklichen als vielmehr längst vergangenen Gefühlen. »Eines Tages hast du mich vergessen«, stellt sie nüchtern fest. »Eines Tages existiere ich nicht mehr in deinem Leben.«
Er schüttelt den Kopf. »Nein, das wird nicht passieren. Der Tag wird nicht kommen. Ich versuche, gut zu sein – ich würde dich ja verlassen, wenn ich könnte -, doch ohne dich gibt es für mich nichts Gutes. Möglich, dass du mich eines Tages verlässt. Wahrscheinlich sogar …, aber ich verlasse dich nie. Und ich werde dich auch nicht vergessen, egal, was geschieht. Ich könnte gar nicht vergessen, was wir aneinander gehabt haben. Du bist ein Teil von mir – hier in meinem Herzen.«
Ihre Finger gleiten zärtlich über sein Gesicht. »Du wirst heute wieder weggehen. Heute Nacht schon bist du nicht mehr hier. Du gehst jedes Mal. Immer wenn du hier erscheinst, gehst du anschließend wieder weg.«
Er windet sich, hält sie umklammert. »Du weißt doch, dass es nicht anders geht. Hast du nicht gesagt, dass du das verstehst? Ich weiß noch, wie du am Anfang gesagt hast, dass du mir keine Fesseln anlegst.«
Sie denkt darüber nach, streicht mit dem Finger an seinem markanten Unterkiefer entlang. Er ist einfach exquisit, dieser Mann: seine Schönheit, das Übermaß, für das er steht, das ungeheure Hochgefühl wie das biblische Leid, das er im Gepäck führt. Er ist die dünnste der Klingen, er ist Seide und Stein, er ist eine feine Substanz, die unter die Haut dringt. »Ja«, räumt sie ein, »das weiß ich noch. Ich habe gesagt, dass ich dich nie in einen Käfig sperre.«
Ihre Berührung kitzelt: Er ergreift ihre Hand, schaut ihr fragend in die Augen. »Ich weiß, dass es dir wehtut, wenn ich nicht hier bin – wenn ich nicht zu dir komme. Ich weiß, dass dich die Vorstellung verletzt, dass ich irgendwo bin, wohin du weder kommen kannst noch darfst. Ich weiß, dass du einsam bist, ich weiß, dass du mich brauchst. Und es tut mir leid, dass ich nicht bei dir sein kann. Aber ich hoffe, dass du eines weißt: Ich vergesse
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