Geheimes Verlangen
beide unten im Fluss spiegeln, er im Wasser ihre wie die Äste einer starken Eiche auf der Brüstung ausgebreiteten Arme sehen kann, während er selbst wie besessen ihre Haare küsst. Und dann explodiert er – kein Problem. Er fickt sie, dann lässt er sie über das Geländer tief in das teilnahmslose graue Wasser hinabstürzen. Und sie erscheint nicht wieder an der Oberfläche, nie mehr sieht er ihr weißes Gesicht, ihre Verwirrung, weil sie nicht wieder auftaucht, weil das Wasser, die Strömung sie einfach davonträgt. Und erst wenn ihr Untergang so vollständig besiegelt ist, kann er wieder frei atmen.
Dann explodiert er mit einem jähen Ruck, atmet durch die geschlossenen Zähne scharf ein; seine Beckenknochen stoßen unkontrolliert gegen das Geländer. Er öffnet vorsichtig die Augen, blinzelt und wagt kaum, um sich zu blicken; seine Wangen sind dunkel verfärbt. Er hat den Oberkörper vorgebeugt, seine Schultern sind eingefallen. Er richtet sich vorsichtig auf, lässt die angewinkelten Arme seitlich neben dem Körper baumeln. In den ersten Sekunden ist er irrsinnig nervös, geniert sich zu Tode, sucht verzweifelt nach einer plausiblen Erklärung. Doch dann sieht er, dass die Dinge ihren gewohnten Gang gehen, dass niemand stehen bleibt, um ihm Vorhaltungen zu machen. Niemand hat gesehen, wie er sie über das Geländer gestoßen hat. Mir blieb doch gar keine andere Wahl, sagt er zu ihr, obwohl die Strömung sie bereits fortgetragen hat und sie ihn unmöglich hören kann. Ich musste es einfach tun, weißt du. Ertrinke wie ein Kätzchen, fleht er sie an: Lebe nicht wie ein verdammter Hund, der alles vergibt und vergisst, auch wenn es noch so schrecklich ist.
Er räuspert sich, wischt sich den Mund ab, schüttelt Mörtelkrumen von seinen Stiefeln. Sein Ejakulat fühlt sich schon jetzt unangenehm kühl, klebrig an. Er muss daran denken, wie sie ihn einmal gedrängt hat, seinen Schwanz selbst in die Hand zu nehmen, und dann gesagt hat: Zeig mal, wie du es machst, wenn du es dir selbst besorgst. Er hatte es ihr genau gezeigt, sich dabei Zeit gelassen. Ich denke dabei immer an dich. Er rafft den Mantel vorn zusammen, tritt einen Schritt von dem Geländer zurück. Der Saum des Mantels berührt beim Gehen seine Waden. Er schlägt den Kragen hoch, um seinen Hals vor dem Wind zu schützen. Sie hat ihm ein Stück dunkelbraune Seife mit auf die Reise gegeben: Er geht zuerst in sein Zimmer, um zu duschen. Er hat sie gefragt, was er ihr von der Reise mitbringen soll, und sie hat wie ein kleines Kind um Schokolade gebeten. Er wird daran denken, ihr welche zu besorgen.
S ie kniet in alten, mit Farbe verkleckerten Kleidern auf dem Fußboden, die Hände blau.
Sie ist von Freude überwältigt und sieht ihn strahlend an. »Ich habe nicht mehr geglaubt, dass du zurückkommst.«
Er zuckt mit den Achseln. »Hat auch nicht viel gefehlt. Ich habe darüber nachgedacht. Vielleicht hätte ich es besser bleiben lassen sollen.«
Sie nickt, versucht, nicht verletzt zu sein, und schlägt die Augen nieder. Sie hat nie recht verstanden, ob er so etwas absichtlich sagt, um zu verletzen – ob es ihm einfach Spaß macht wie einem Leoparden, der genüsslich die Zähne bleckt -, oder ob er in einer Welt voll harter Ecken und Kanten lebt und nicht weiß, dass es auch ganz andere Welten gibt. Sie stellt sich vor, wie er durch eine Tundra aus schwarzem Onyx geht, zersplitterte Quarzhänge hinaufsteigt. »Und wieso hast du dich so entschieden?«
Er sagt: »Ich habe noch gar nichts entschieden.«
Sie lächelt unsicher, mustert den Pinsel, denkt, dass sie ihn besser ins Wasser stellen sollte. Sie blickt kurz zu ihm auf. »Und trotzdem bist du hier«, sagt sie und lacht gequält. »Da bist du also.«
»Kann schon sein«, sagt er müde. Es fällt ihm schwer, sie anzuschauen, dieses Mädchen, das in Wirklichkeit stets etwas anders aussieht als in seinen Tagträumen. Eigentlich ist er jedes Mal enttäuscht, wenn er sie wiedersieht. »Wahrscheinlich ein Fehler. Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein.« Als sie ihn schweigend und mit ausdruckslosem Gesicht ansieht, richtet er seine Aufmerksamkeit auf die Wände, die in den Ecken frisch gestrichen sind. Der Raum ist von einem unangenehmen chemischen Geruch erfüllt. Durch das offene Fenster strömt die kühle Winterluft herein. Das Zimmer ist eigentlich ein Abstellraum: Es dient der Verwahrung eines Fahrrads mit platten Reifen, diverser Bilder, die nicht hübsch genug sind, um sie aufzuhängen, eines
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