Geheimnis am Holunderweg
Gedanken ganz andere Wege gegangen. Roter Mantel und schwarzer Hut mit Rosen! Das mußte die Dame sein, die ihm die Eintrittskarte zu dem Wohltätigkeitsball verkauft und aus seiner Hand gelesen hatte. Sie hatte Dietrich Kronstein in seiner Hand entdeckt – und auch ein Geheimnis.
„Hinter diesem Handlesen steckt mehr als mancher ahnt”, sagte Herr Grimm zu sich selbst.„Ich glaube zwar nicht, daß die Dame das Geld gestohlen hat. Da sie aber offenbar gestern vormittag bei Herrn Schauer gewesen ist, werde ich sie verhören. Vielleicht kann sie mir noch mehr von dem Geheimnis verraten.”
Der arme Herr Grimm! Er ahnte nicht, daß Dicki die Dame im roten Mantel gewesen war. Eifrig radelte er zu Kronsteins. Die Dame hatte ihm ja erzählt, daß sie für drei Wochen bei Frau Kronstein wohnte, also mußte sie noch dort sein.
Dicki war gerade zurückgekommen und wusch sich im Badezimmer die Hände. Als er draußen ein Rad bremsen hörte, guckte er aus dem Fenster und sah Herrn Grimm. Schnell trocknete er seine Hände ab und ging ins Wohnzimmer hinunter, wo seine Mutter saß und nähte. Gleich danach meldete Johanna, daß Herr Grimm Frau Kronstein zu sprechen wünsche.
Frau Kronstein runzelte die Stirn. „Führen Sie ihn bitte herein. Bleib nur hier, Dietrich. Womöglich will er sich wieder über dich beschweren.”
Herr Grimm hatte seinen Helm abgenommen und trug ihn in der Hand. „Guten Abend, Frau Kronstein!” grüßte er mit einer tiefen Verbeugung. „Könnte ich wohl die Dame sprechen, die bei Ihnen wohnt?”
Frau Kronstein sah ihn überrascht an. „Bei mir wohnt keine Dame. Wie kommen Sie denn darauf?”
„Aber – sie muß doch hier wohnen! Sie hat mich neulich besucht und mir eine Eintrittskarte zu dem Wohltätigkeitsfest verkauft. Sie sagte, sie wäre mit Ihnen befreundet und wohnte für drei Wochen bei Ihnen. Ich möchte ein paar Fragen an sie stellen. Wahrscheinlich ist sie an dem Vormittag im Holunderhaus gewesen, als dort Geld gestohlen wurde. Sie haben sicherlich von der Sache gehört.”
Dicki drehte sich hastig um und stocherte im Kamin herum. Er mußte sich große Mühe geben, nicht laut herauszuplatzen.
„Ich verstehe wirklich nicht, warum eine Dame, die ich gar nicht kenne, Ihnen erzählt hat, daß sie bei mir wohnt”, sagte Frau Kronstein zu dem Polizisten.
„Aber – sie hat mir doch die Eintrittskarte verkauft, und – ich habe ihr Geld gegeben. Ist es etwa eine Fälschung?”
Herr Grimm zog die Karte aus seiner Rocktasche und zeigte sie Frau Kronstein.
„Nein, das ist keine Fälschung”, sagte sie. „Ich verkaufe die gleichen Karten.”
„Die Dame hat auch aus meiner Hand gelesen”, fuhr Herr Grimm aufgeregt fort. „Und es stimmte alles. Ja, sie hat sogar – –” Er stockte. Was die Dame von einem dicken Jungen gesagt hatte, wollte er lieber nicht erzählen.
Plötzlich bekam Dicki einen heftigen Hustenanfall und hielt sich das Taschentuch vors Gesicht. Seine Mutter drehte sich zu ihm um. „Geh in die Küche und trink etwas Wasser”, sagte sie. Dann wandte sie sich wieder dem Polizisten zu. „Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann, Herr Grimm. Ich habe keine Freundin, die den Leuten aus der Hand liest. Aber Sie besitzen ja die Eintrittskarte zum Wohltätigkeitsball und können also auch hingehen.”
Herr Grimm erhob sich schnaufend und stolperte aus dem Zimmer. Wer konnte nur die Dame im roten Mantel gewesen sein? Sie hatte ihm einen Bären aufgebunden und die Eintrittskarte angedreht. Schade um das schöne Geld! Allerdings hatte sie ihn auch vor Dietrich Kronstein gewarnt, und sie hatte gewußt, daß ein Geheimnis auftauchen würde. Sonderbar, höchst sonderbar!
Als Herr Grimm durch die Diele ging, kam Dicki aus der Küche und sagte: „Wollen Sie schon gehen, Herr Grimm? Komisch, daß die Dame Ihnen erzählt hat, sie wohne hier, nicht wahr? Übrigens – wie kommen Sie mit dem Geheimnis voran? Gewiß haben Sie schon eine Menge Indizien.”
Herr Grimm machte ein mürrisches Gesicht. „Ja, ich habe Indizien. Sie werden dir gar nicht gefallen. Ich habe dich oft genug gewarnt, aber du mischst dich ja immer wieder in Dinge ein, die dich nichts angehen.”
„Was meinen Sie damit?” fragte Dicki.
„Das wirst du schon sehen.” Herr Grimm ging durch die Haustür, die Dicki für ihn aufhielt. Als er am Gartentor war, rief Dicki ihm nach: „Hat die Dame, die Ihnen aus der Hand gelesen hat, Sie vielleicht vor einem dicken Jungen gewarnt? Befolgen Sie
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