Geheimnis der Leidenschaft
Gedanken an Rio beiseite zu schieben, ihn zu ignorieren. Unmögliche Träume hatten ihre Mutter und ihre Schwester umgebracht. Hope hatte sich geschworen, dass es ihr nicht so ergehen würde.
Sie hatte weder die Kraft für solche Träume, noch konnte sie Gefühle dafür erübrigen. Das wusste sie so sicher, wie sie wusste, dass dieser Mann, den sie Rio nannten, ohne Wurzeln war wie der Wind, der über das Land weht, dass er immer auf der Suche nach etwas war, das er niemals fand, und dass er ständig weiterzog.
Das hatte Mason nicht sagen müssen. Es lag in Rios Augen, in seinem Schweigen, in seiner Erinnerung an die Hunderte von Köchen in den vielen Unterkünften.
Rios lange Finger legten sich um die Kaffeetasse, während er beobachtete, wie sich Dunkelheit über den Humor senkte, der Hopes Augen gerade erst hatte erstrahlen lassen. Er fragte sich, welche Erinnerungen oder welche Ängste sie überfallen und ihr das Lachen genommen hatten.
Plötzlich wollte er wissen, was sie bekümmerte, und er wollte das Bedauern aus ihren Mundwinkeln küssen, wollte mit seinen Lippen erreichen, dass sich ihre Lippen wieder zu
einem Lachen verzogen. Aber wenn er das tat, dann würden sie beide am Ende noch mehr zu bedauern haben, noch mehr Traurigkeit und die nie endende Bitterkeit des Betruges.
Sie konnte das Sonnental nicht verlassen.
Er konnte nicht bleiben.
Bruder des Windes.
Zum ersten Mal verstand Rio, warum sein Großvater Tränen in den Augen gehabt hatte, als er seinem Enkel seinen wirklichen Namen gesagt hatte.
11
Nach dem Frühstück gingen Hope und Rio unter einem wolkenlosen Himmel zu der Pferdeweide hinter dem Schuppen. Das Essen, das sie eingepackt hatte, war in den Satteltaschen verstaut, die Rio über der Schulter trug, wie auch die Kanne mit Kaffee. Er würde schon sehr bald seine Wärme verlieren, aber die Menschen, die auf dem Land arbeiteten, hatten gelernt, den Kaffee auch kalt zu trinken.
»Wo wollen Sie anfangen?«, fragte Hope.
»Wir werden zuerst an den Grenzen der Ranch entlang reiten.«
»In den Bergen oder in der Ebene?«
Er deutete zu den Perdidas, die sich über dem unebenen Land erhoben. »Dort oben, am nördlichen Ende der Ranch.«
»Dann nehmen Sie sich am besten ein gutes Pferd«, sagte sie. »Das Sonnental reicht von zweitausend Fuß hier im Süden bis hinauf auf siebentausend Fuß entlang der nördlichen Grenze.«
»Sie besitzen auch Waldland?« Aus Rios Stimme war deutlich Überraschung zu hören, und auch seine hochgezogenen Augenbrauen verrieten ihr das.
Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Waldland? Sie
machen wohl Spaß. Wenn es ein Baum ist, dann steht er auf dem Land der Regierung. Der Teil der Ranch, der über zweitausend Meter hoch liegt, befindet sich an den Abhängen nach Nordwesten.«
»Nach Nordwesten«, wiederholte er und schüttelte den Kopf. »Das bedeutet, dort wächst nichts anderes als riesige Salbeibüsche, Bergmahagoni, Pinon und Wacholder.«
»Richtig. Kein einziges anständiges Brett ist da zu holen.«
Sein Mund verzog sich sarkastisch. »So ist es überall in Nevada. Das beste Land gehört der Regierung, das schlechteste den Indianern, und der Rest des Landes, des Basin und der Range gehört denjenigen, die hart und schlau genug sind, ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen.«
»Aber es ist wunderschönes Land«, behauptete Hope.
»Die meisten Menschen finden das nicht. Sie sehen sich die Büsche und die kahlen Berge an und können den Staat nicht schnell genug hinter sich lassen. Vielleicht muss man hier geboren sein, um es zu schätzen.«
»Meine Mutter wurde hier geboren. Sie hat das Land gehasst.«
»Meine auch«, gestand Rio. »In einer Reservation aufzuwachsen war kein Vergnügen, ganz besonders nicht für ein halb-indianisches Mädchen, das aussah, als sei es an der falschen Haltestelle aus dem Bus gestiegen. Sie konnte nicht schnell genug aus der Reservation wegkommen.«
»Hat es Ihrem Vater denn dort gefallen?«
Rio stieß ein Geräusch aus, das ein Lachen hätte sein können, doch dafür war es zu hart. »Er hat dieses Land noch mehr gehasst als sie. Er war zum Teil Athabascan, geboren in den nördlichen Wäldern und an den Seen. Er hat auch sie gehasst. Aber am allermeisten hat er es gehasst, Indianer genannt zu werden, wo doch sein Vater ein abtrünniger Schotte war und seine Mutter zu einem Viertel Holländerin.«
Hope warf Rio einen schnellen Seitenblick zu. Sie fragte sich, ob sein Vater wohl so gewesen war wie er, mit
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