Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
hatten – ein dickes Bündel Briefe, die von einem einzigen Seidenband zusammengehalten wurden. Als er es herausnahm, stieg ihm ein betörender Duft in die Nase.
Das war kein billiges Zitronenparfum, bei irgendeinem Straßenhändler erstanden, sondern der Duft einer Frau – blumig, voll und verführerisch.
Tief einatmend zog Gabriel das Seidenband auf und fuhr mit den Händen über das teure Leinenbriefpapier. Das Papier war zerknittert und abgegriffen von den vielen Monaten, die er die Briefe über seinem Herzen getragen hatte. Einen davon faltete er auf und strich ihn glatt, fuhr mit der Fingerspitze über die anmutigen Tintenschwünge. Wenn er sich nur stark genug konzentrierte, mochte es ihm gelingen, ein Wort oder vielleicht auch einen vertrauten Satz zu erkennen.
Bedeutungslose Worte, leere Phrasen.
Seine Hand ballte sich zu einer lockeren Faust. Langsam legte er den Brief wieder zusammen und dachte dabei, wie absurd es eigentlich für einen Blinden war, Briefe aufzubewahren, die er nicht mehr würde lesen können, von einer Frau, die ihn nicht mehr liebte.
Falls sie das je getan hatte.
Trotzdem band er das Seidenband sorgfältig wieder um die Briefe, ehe er sie behutsam an ihren Platz zurücklegte.
4
Meine liebe Miss March,
darf ich hoffen, dass Sie mir gestatten,
Ihnen mit süßen Worten den Hof zu machen?
Als Gabriel am nächsten Morgen sein Schlafzimmer verließ, verzweifelt auf der Suche nach Gesellschaft, stiegen ihm nach einem argwöhnischen Schnuppern nur die Gerüche von Schinkenspeck und Schokolade in die Nase. Vorsichtig ging er ihnen in den Speisesalon nach und fragte sich, wo ihm wohl Miss Wickersham heute auflauern würde. Zu seiner Überraschung war es ihm gestattet, in Ruhe zu frühstücken, ohne dass jemand seine Tischmanieren oder seine Aufmachung kritisierte. Er aß hastig und mit noch weniger Finesse als sonst in der Hoffnung, den sicheren Hafen seines Schlafzimmers erreichen zu können, ehe sich seine anmaßende Pflegerin wieder auf ihn stürzte.
Nachdem er sich mit einer Ecke des Tischtuches den Mund abgewischt hatte, eilte er die Treppe hinauf. Doch als er die Hand nach der verschnörkelten Klinke ausstreckte, die zur Schlafzimmertür des Hausherren gehörte, fasste er in die Luft.
Gabriel wich zurück, fürchtete, in der Eile irgendwo falsch abgebogen zu sein.
Doch da erklang auch schon eine fröhliche Stimme: »Guten Morgen, Mylord!«
»Guten Morgen, Miss Wickersham«, antwortete er zähneknirschend.
Er machte einen zögernden Schritt nach vorn, dann noch einen, seiner Selbstsicherheit durch das trügerische Sonnenlicht auf seinem Gesicht beraubt, irritiert durch die sanfte Brise, die ihm über die Stirn strich, und das melodische Zwitschern eines Vogels, der direkt vor dem offenen Fenster seines Zimmers sitzen musste.
»Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich hier eingedrungen bin«, sagte sie. »Ich dachte, wir lüften Ihr Schlafzimmer, während Sie unten frühstücken.«
»Wir?«, wiederholte er in Unheil verkündendem Ton und fragte sich, wie viele Zeugen es für ihre Ermordung wohl geben würde.
»Sicherlich erwarten Sie nicht, dass ich alle Arbeit alleine erledige! Peter und Phillip bereiten gerade Ihr Morgen-bad, während Elsie und Hannah Ihre Bettlaken wechseln. Mrs. Philpot und Meg sind draußen im Garten und lüften Ihr Federbett und die Kissen. Und die liebe Millie wischt in Ihrem Salon Staub.«
Das Plätschern von Wasser und das Flattern von Leinentüchern, die ausgeschüttelt wurden, bewiesen, dass ihre Behauptungen der Wahrheit entsprachen. Gabriel nahm einen tiefen Atemzug – die Luft war schier vergiftet von dem süßen Duft nach Zitronenmelisse und Wäschestärke. Wie erwartet, hörte er aus der Richtung des Ankleidezimmers ein Rascheln, ein Geräusch wie von einer Ratte. Einer sehr plumpen, kahlköpfigen Ratte, die eine Weste trug.
»Beckwith?«, rief Gabriel scharf.
Das Rascheln hörte auf, es folgte erstarrte Stille.
Gabriel seufzte. »Sie können genauso gut herauskommen, Beckwith. Ich kann Ihre Haarpomade riechen.«
Schlurfende Schritte verrieten, dass der Butler gehorsam das Ankleidezimmer verließ. Bevor die Pflegerin noch zu einer Rechtfertigung für seine Anwesenheit hier ansetzen konnte, sagte Beckwith: »Da Sie keinen Kammerdiener um sich dulden wollen, Mylord, hat Miss Wickersham vorgeschlagen, dass wir Ihre Kleidung nach Schnitt und Farbe sortieren. Dann sollten Sie in der Lage sein, sich ohne fremde Hilfe anzuziehen.«
»Und
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