Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
schwingend.
»Wohin willst du?«, fragte sein Vater verblüfft.
Er drehte sich zu ihnen allen um. Seine Miene verriet eiserne Entschlossenheit. »Ich will sie finden, darum gehe ich sie suchen.«
Sein Vater wechselte einen besorgten Blick mit Gabriels Mutter, ehe er die eine Frage stellte, die sie alle beschäftigte: »Aber was, wenn sie nicht gefunden werden will?«
Sie stellte das Lederköfferchen auf ihr Bett, ließ müde die Schultern sinken. Nachdem sie das Gepäckstück auf mehreren schlaflosen Fahrten in der Postkutsche mit sich geschleppt hatte, fühlte es sich an, als sei es mit Wackersteinen beladen, nicht mit ein wenig Unterwäsche zum Wechseln, einem Bündel alter Briefe und einem schmalen Gedichtband. Wären nicht die Briefe gewesen, hätte sie sich vielleicht in Versuchung geführt gefühlt, das Ding heute Morgen während ihres langen Fußmarsches vom Dorf hierher einfach im nächsten Tümpel zu versenken. Das fröhliche Gezwitscher der Vögel, die in den Hecken entlang der Auffahrt zum Haus brüteten, schien sie zu verspotten.
Sie trug immer noch dasselbe unscheinbare braune Kleid, das sie vor drei Tagen angezogen hatte, bevor sie Fairchild Park im Morgengrauen verließ. Staub bedeckte den Saum ihres Rockes, und ein Fleck getrockneter Milch zierte ihr Oberteil; das Kind einer in der Kutsche mitreisenden Putzfrau hatte sie bespuckt auf der besonders holperigen Fahrt von Hornsey nach South Mims.
Samantha hätte sich eigentlich darüber ärgern sollen, doch eine gnädige Taubheit umfing sie. Selbst während sie sich noch fragte, ob sie wohl je wieder etwas empfinden würde, musste sie zugeben, dass die Taubheit dem beißenden Seelenschmerz vorzuziehen war, der ihr Herz durchbohrt hatte, als sie Gabriel schlafend in ihrem Bett zurückließ.
Sie sank auf den Hocker vor dem Frisiertisch. Dieses Zimmer hatte sie als Mädchen verlassen, doch es war eine Frau, die ihr nun aus dem Spiegel entgegenblickte. Aus dieser ernsten Miene zu schließen, würde niemand ahnen, dass ihre Augen vor Glück strahlen konnten oder dass sich beim Lächeln zwei bezaubernde Grübchen auf ihren Wangen bildeten.
Ihre Arme schmerzten vor Erschöpfung, als sie nach oben griff, um eine Nadel nach der anderen aus ihrem Haar zu ziehen. Die schwere Mähne fiel ihr schlaff auf die Schultern. Sie blinzelte ihr Spiegelbild aus müden Augen an – Augen in der Farbe des Meeres unter einem Sommerhimmel.
Schritte klangen auf der Treppe – die Schritte ihrer Mutter, so energisch und vertraut, dass Samantha unvermittelt voller Wehmut an die Zeit dachte, als ihre Mutter jeden Seelenschmerz, egal, wie schlimm er auch war, einfach durch eine zärtliche Umarmung und eine Tasse warmen Tees hatte vertreiben können.
»Man sollte doch meinen«, beklagte sich ihre Mutter lautstark, während sie die Treppe emporstieg, »dass, wenn eine Mutter ihrer Tochter erlaubt, ihre reiche Freundin auf einer ausgedehnten Reise auf den Kontinent zu begleiten, man doch wenigstens so viel Dankbarkeit erwarten darf, dass diese Tochter ihrer Mutter schreibt, damit die weiß, sie ist noch am Leben und schmachtet nicht in irgendeinem schmutzigen Kerker irgendwo in Frankreich. Noch sollte man es für möglich halten, dass eine solche Tochter sich bei ihrer Rückkehr wie ein Dieb klammheimlich ins Haus schleicht, anstatt ihre Eltern zu begrüßen, wie es sich gehört. Himmel, ich hätte überhaupt nicht erfahren, dass du wieder zu Hause bist, hätte deine Schwester nicht …«
Samantha drehte sich auf dem Hocker um.
Ihre Mutter stand auf der Türschwelle. Eine Hand hatte sie sich auf das Herz gelegt, ihre Miene zeugte von Entsetzen. »Gütiger Himmel, Cecily! Was hast du nur mit deinem wunderschönen Haar angestellt?«
20
Mein liebster Lord Sheffield,
Sie behaupten, nichts als Staub unter meinen
zier lichen Füßen zu sein, doch in Wahrheit sind Sie mir
Sternenstaub, über einen samtigen Nachthimmel ge sprenkelt,
auf ewig in meinen Träumen und doch
außerhalb meiner Reichweite …
»Sie kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben. Das ist unmöglich!«
»Das sollte man meinen, Mylord. Aber es scheint, als sei genau das geschehen. Nachdem ihre Kutsche an jenem Nachmittag London erreicht hatte, verliert sich Miss Wickershams Spur. Meine Männer haben sie jetzt zwei Monate lang gesucht, und es ist ihnen nicht gelungen, auch nur den geringsten Hinweis auf ihren Verbleib zu entdecken. Es ist beinahe so, als hätte es sie nie gegeben.«
»So,
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